Der Raecher
kämpften wir gegen die Japaner.
Die Kommunisten unter Ho Chi Minh spielten in diesem Kampf eine führende Rolle. Sie waren tüchtiger, besser ausgebildet und rücksichtsloser als die Nationalisten. Viele wechselten die Seite, mein Vater jedoch nicht. Als die Japaner 1945 geschlagen abzogen, war Ho Chi Minh ein Nationalheld. Ich war fünfzehn, kämpfte aber schon mit. Dann kamen die Franzosen zurück.
Neun weitere Kriegsjahre folgten. Ho Chi Minhs kommunistische Widerstandsbewegung Vietminh schluckte einfach alle anderen Bewegungen. Wer sich widersetzte, wurde liquidiert. Auch diesen Krieg habe ich mitgemacht. Ich war eine der menschlichen Ameisen, die Geschützteile in die Berge um Dien Bien Phu schleppten, wo die Franzosen 1954 vernichtend geschlagen wurden. Dann kam die Genfer Indochinakonferenz und eine neue Katastrophe. Die Teilung meines Landes in den Nord- und in den Südteil.«
»Haben Sie wieder zur Waffe gegriffen?«
»Nicht sofort. Für kurze Zeit herrschte Frieden. Wir warteten die Wahlen ab, die nach den Genfer Vereinbarungen abgehalten werden sollten. Als sie ausgesetzt wurden, weil die im Süden herrschende Diem-Familie wusste, dass sie unterliegen würde, griffen wir wieder zu den Waffen. Wir mussten uns zwischen den widerwärtigen korrupten Diems im Süden und Ho Chi Minh sowie General Giap im Norden entscheiden. Ich hatte unter Giap gekämpft. Ich verehrte ihn als Kriegshelden. Ich entschied mich für die Kommunisten.«
»Waren Sie damals noch ledig?«
»Nein, ich war mit meiner ersten Frau verheiratet und hatte drei Kinder.«
»Sind sie noch dort?«
»Nein, alle tot.«
»Wie sind sie gestorben?«
»Durch B-52-Bomber.«
»Weiter.«
»Dann kamen die ersten Amerikaner. Unter Kennedy. Angeblich als Berater. Aber für uns war das Diem-Regime nur eine Marionettenregierung wie die anderen, die uns die Japaner und Franzosen aufgezwungen hatten. Wieder wurde das halbe Land von Ausländern besetzt. Ich kehrte in den Dschungel zurück und kämpfte.«
»Wann?«
»1963.«
»Noch mal zehn Jahre?«
»Ja. Am Ende war ich zweiundvierzig und hatte mein halbes Leben wie ein Tier vegetiert. Hatte gehungert, unter Krankheiten gelitten und in ständiger Todesangst gelebt.«
»Aber nach 1972 müssen Sie doch triumphiert haben«, bemerkte Dexter. Der Vietnamese schüttelte den Kopf.
»Sie haben ja keine Ahnung, was nach Ho Chi Minhs Tod 1968 passiert ist. Partei und Staat fielen in unterschiedliche Hände. Viele von uns kämpften noch für ein Land, von dem wir uns mehr Toleranz erhofften. Ho Chi Minhs Nachfolger hatten anderes im Sinn. Ein Patriot nach dem anderen wurde verhaftet und hingerichtet. Die starken Männer waren Le Doan und Le Duc Tho. Sie hatten nicht die Charakterstärke Hos, der humane Methoden tolerieren konnte. Sie mussten vernichten, um zu herrschen. Die Geheimpolizei wurde übermächtig. Erinnern Sie sich an die Tet-Offensive?«
»Nur zu gut.«
»Ihr Amerikaner scheint zu glauben, sie sei ein Sieg für uns gewesen. Das ist ein Irrtum. Sie wurde in Hanoi geplant und fälschlicherweise General Giap zugeschrieben, aber der hatte unter Le Doan in Wahrheit nichts zu melden. Sie wurde dem Vietcong aufgezwungen und befohlen. Sie hat uns kaputtgemacht. Und das war auch ihr Zweck. Fünfzehntausend unserer
besten Kader starben bei Himmelfahrtskommandos. Unter ihnen befanden sich sämtliche fähigen Führungspersönlichkeiten aus dem Süden. Als es sie nicht mehr gab, herrschte Hanoi unumschränkt. Nach der Tet-Offensive übernahm die nordvietnamesische Armee die Kontrolle, gerade rechtzeitig vor dem Sieg. Ich war einer der letzten überlebenden Nationalisten aus dem Süden. Ich wollte ein freies und wiedervereinigtes Land, ja, aber auch kulturelle Freizügigkeit, einen Privatsektor, Bauern mit Landbesitz. Das erwies sich als Fehler.«
»Was ist passiert?«
»Nun ja, nach der endgültigen Eroberung des Südens 1975 begannen die eigentlichen Pogrome. Gegen die Chinesen. Zwei Millionen wurden ihres gesamten Besitzes beraubt und entweder zu Sklavenarbeit gezwungen oder aus dem Land gejagt. Die Boat people. Ich war dagegen und sagte das auch. Dann wurden Lager für vietnamesische Dissidenten eingerichtet. Heute schmachten zweihunderttausend in solchen Lagern, hauptsächlich Menschen aus dem Süden. Ende 1975 holte mich die Geheimpolizei ab, die Bao Ve Cong An. Ich hatte einen Protestbrief zu viel geschrieben und mich darin beklagt, dass alles, wofür ich gekämpft hätte, verraten werde. Das
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