Der raetselhafte Kunstraub
so rot wurde wie eine Tomate.
Señor Ambrosi hatte nämlich schon mit dem ersten Blick gefunden, was er gesucht hatte. Und das war in diesem Fall gar nicht so schwer gewesen. Karlchen Kubatz hatte nämlich seinen Platz unglücklicherweise ganz vorn in der ersten Bank.
„Lieber Herr Kollege“, wollte sich Direktor Senftleben gerade bei Studienrat Fink entschuldigen, da knallte es auch schon genau fünfmal.
Der dicke Südamerikaner hatte große und schwere Hände. Aber sie waren flink wie Kaninchen. Bevor sich Karlchen Kubatz vom ersten Schrecken erholt hatte, kassierte er eine Ohrfeige nach der anderen. Die letzte traf ihn so gut, daß er sich auf den Boden setzte.
„Das geht zu weit, mein Herr“, rief Oberstudiendirektor Senftleben und stellte sich vor seinen Schüler. „Im Prinz-Ludwig-Gymnasium wird nicht geschlagen.“
„Pardon, mein Temperament“, entschuldigte sich der dicke Südamerikaner. Er trat jetzt einen Schritt zurück und rieb sich dabei die Hände. „Aber es tut mir nicht leid, wenn ich das bemerken darf.“
Leider ist ein Gymnasium kein Rummelplatz
Karlchen Kubatz war jetzt schon länger als eine halbe Stunde bei Oberstudiendirektor Senftleben im dritten Stock.
Die sechs, die im Augenblick von den Glorreichen Sieben übriggeblieben waren, saßen im Korridor auf einer Fensterbank. Sie hatten beschlossen, zusammenzubleiben und abzuwarten, was mit Karlchen passieren würde.
Als nach den ersten zehn Minuten der Südamerikaner die Treppe heruntergekommen war, hatten sie sich blitzschnell hinter den zwei großen Schränken mit Landkarten versteckt, so daß er sie nicht sehen konnte.
Señor Ambrosi hatte fröhlich eine Melodie vor sich hin gepfiffen und im Takt der Musik die Fußspitzen nach außen geworfen. Er war vergnügt und bester Laune.
„Der hat erreicht, was er wollte“, meinte Emil Langhans und schwang sich wieder auf die Fensterbank.
Hans Pigge ließ seinen hellblonden Pagenkopfhängen. „Ein Riesenschlamassel!“
„Und deine Nase hat recht behalten“, stellte der kleine Sputnik fest.
„Leider“, bedauerte Paul Nachtigall nachdenklich. Und dann sprang er auf. Aber es hat keinen Sinn, wenn wir hier nur rumsitzen. Wir müssen ihn rausholen.“
„Du meinst, mit Gewalt?“ fragte der kleine Sputnik ganz aufgeregt.
„Du liest zuviel“, grinste Paul Nachtigall. Dann ging er voraus zur Treppe.
Es war gar nicht so einfach, bis ins Büro des Schuldirektors vorzudringen. Als es ihnen dann schließlich gelungen war, sahen sie zuerst Karlchen Kubatz, der ziemlich armselig auf einem Stuhl saß. Er drehte den Kopf, als die Freunde durch die Tür kamen, und guckte sie an. So, als wollte er sagen: Paßt auf, gleich geht da unter meinem Stuhl eine Falltür auf, und weg bin ich.
Oberstudiendirektor Senftleben diktierte seiner Sekretärin gerade einen Brief. Er rauchte dabei einen langen schwarzen Zigarillo. Bisher hatten die Schüler ihren Direktor noch nie rauchen sehen. Jetzt blickte er auf.
„Also, was verschafft mir die Ehre, meine Herren? Was ist denn so ungeheuer wichtig, daß Sie mich unbedingt sprechen müssen?“ Paul Nachtigall machte einen Schritt nach vorn und nahm die Hände auf den Rücken. „Herr Oberstudiendirektor, was Karlchen mit Herrn Ambrosi und seinen Schuhen gemacht hat, ist nicht gerade so schön, daß man es in einem Museum ausstellen könnte ...“
„Freut mich zu hören“, sagte der Direktor ziemlich kurz angebunden.
„Andererseits ...“, Paul Nachtigall zögerte einen Augenblick, aber dann sagte er es doch: „Andererseits hätten wir anderen bestimmt das gleiche getan oder etwas Ähnliches, wenn die Gelegenheit so günstig gewesen wäre. Das wollten wir Ihnen sagen.“
„Aber das ist doch Unsinn“, fuhr Oberstudiendirektor Senftleben hoch und pustete eine Rauchwolke ins Zimmer. „Nachtigall, du bist ein Jahr älter, ich frage dich, ist das dein Ernst?“
„Darf ich mit einer Frage antworten?“ sagte Paul Nachtigall so bescheiden wie möglich.
„Bitte“, antwortete der Direktor.
„Ist es in Ordnung, wenn dieser Herr Ambrosi die ganze Badeanstalt für sich allein beansprucht?“
„Unsinn und noch einmal Unsinn“, unterbrach Oberstudiendirektor Senftleben. „Der Schüler Kubatz hat mir die Geschichte erzählt. Ich unterstelle, daß es so gewesen ist: Ihr habt für das Sportfest trainiert, da kommt Herr Ambrosi, und man setzt euch vor die Tür. Schön und gut, da mag irgend etwas nicht stimmen. Die städtische Badeanstalt ist eine
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