Der raetselhafte Kunstraub
zweiten Korridor erreicht, und der Hausmeister riß die Tür der Klasse 7a auf. „Der Herr Oberstudiendirektor“, verkündete er.
„Bitte sich nicht stören zu lassen, Herr Kollege“, entschuldigte sich der Oberstudiendirektor bei dem unterrichtenden Lehrer. „Wir wollen uns nur eine Minute umsehen, dann verschwinden wir wieder. Bitte fahren Sie fort.“
Während der Unterricht weiterging, sah sich der Südamerikaner Salvatore Ambrosi unter den Schülern um. Er machte dabei gelegentlich einen oder zwei Schritte, damit er auch diejenigen genau sehen konnte, die von einem gewissen Blickwinkel aus durch ihren Vordermann verdeckt waren.
„Nada“, stellte er nach einer Weile fest und schüttelte dabei seinen dicken Kopf mit dem pechschwarzen Bart.
„Danke, Herr Kollege“, flüsterte der Schuldirektor noch, und dann war er mit seinem Besuch wieder draußen.
„Er hat Haare, so kurz wie Amerikaner immer haben“, wiederholte Signor Ambrosi jetzt schon zum zehnten- oder elftenmal.
Also einen Bürstenhaarschnitt“, stellte Oberstudiendirektor Senftleben fest. „Das müßte uns die Sache erleichtern, denn so ziemlich die meisten Schüler lassen sich heutzutage die Haare so lang wachsen, daß man sie kaum noch von Mädchen unterscheiden kann.“
„Und welches Alter, sagen Sie?“ wagte der Hausmeister zu fragen. Er kannte ja alle Klassen wie seine eigene Hosentasche und wollte jetzt ein wenig Detektiv spielen.
„Wie ich schon gesagt habe, zwölf oder dreizehn“, antwortete der Südamerikaner.
„Dieses Alter haben wir jetzt durch“, bemerkte der Direktor. Aber gehen wir auch noch in die nächsten Klassen. Vielleicht, daß der Knabe doch schon vierzehn oder fünfzehn ist. Es gibt manche, die wachsen langsamer als die anderen.“
Man stieg die Treppe zum nächsten Korridor hinauf.
Oberstudiendirektor Senftleben war daran interessiert, die Sache aus der Welt zu schaffen. Das Prinz-Ludwig-Gymnasium lebte schließlich von den Steuergeldern der Stadt. Die Bürger von Bad Rittershude durften also erwarten, daß die Schulleitung sie vor Frechheiten und Pöbeleien der Schüler schützte. Dazu kam noch, daß Signor Ambrosi eine stadtbekannte Persönlichkeit war.
„Ich möchte keinesfalls, daß über unser Gymnasium in der Stadt schlecht geredet wird“, sagte deshalb Oberstudiendirektor Senftleben, als man den Korridor vom dritten Stock erreicht hatte. „Ich bin an einer Aufklärung des Falles genauso interessiert wie Sie. Bitte.“
Der Hausmeister hatte kurz an die erste Tür neben der Treppe geklopft und sie dann gleich aufgerissen. „Der Herr Oberstudiendirektor...“
Aber leider mußte Herr Ambrosi auch dieses Mal wieder den Kopf schütteln und „Nada“ sagen, als er sich umgeblickt hatte. Er wurde immer wütender. „Ich zerreiß’ ihn in der Luft“, knurrte er wieder einmal.
In spätestens fünf Minuten mußte der Unterricht vorbei sein.
Das war die große Chance für Karlchen Kubatz. Sein Klassenzimmer lag nämlich ganz hinten im Korridor. Studienrat Fink gab gerade Geographie. Man beschäftigte sich mit der Mecklenburgischen Seenplatte.
Aber da blickte Oberstudiendirektor Senftleben auf seine Armbanduhr und stellte fest, daß es nur noch um Sekunden ging. „Wir müssen uns beeilen“, sagte er und drehte sich nach dem Hausmeister um. „Am besten, Sie gehen voraus. Sagen Sie in den übrigen Klassen Bescheid, daß man noch bleiben soll.“
Damit war das Urteil über Karlchen Kubatz gesprochen. Es klingelte gerade, als der Hausmeister in die Klasse kam. Er sprach kurz mit Studienrat Fink, der schon seine Bücher zusammengeklappt hatte. Dann rannte er gleich wieder los. Die Schüler der 8b ahnten natürlich, daß irgend etwas Besonderes passiert sein mußte.
Aber Studienrat Fink ließ die Klasse eine Weile schmoren. „Manchmal passieren die ulkigsten Dinge“, sagte er nur. Erst eine Weile später fügte er hinzu: „Der Herr Direktor bittet uns, noch eine Minute zu verweilen. Vermutlich hat er Sehnsucht nach euch.“
Noch war Karlchen Kubatz völlig ahnungslos. Er freute sich auf den Heimweg mit den Glorreichen Sieben, auf das Mittagessen zu Hause und auf das Freibad am Nachmittag. Die Sonne schien, es war wieder einmal ein Tag zum Eierlegen, und Karlchen war bester Laune.
Bis jetzt die Tür aufging und hinter Oberstudiendirektor Senftleben der Südamerikaner Salvatore Ambrosi auftauchte. Breit und dick und mit einem Kopf, der jetzt unter dem pechschwarzen Haar im Bruchteil einer Sekunde
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