Der raetselhafte Kunstraub
Briefumschlag zu öffnen. „Das ist beinahe so, als müßte ein zum Tode Verurteilter seinem Henker ein Trinkgeld geben.“
„Ja, finsteres Mittelalter“, wagte Karlchen zu bemerken. Aber sein Vater hörte gar nicht mehr. Er war schon am Lesen.
Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Herr Kubatz den Brief wieder sorgfältig zusammenfaltete.
„Sehr interessant“, sagte er nur. „Irgendein Kommentar deinerseits?“
Karlchen wußte, daß er bei seinem Vater immer am besten fuhr, wenn er in solchen Fällen bei der Wahrheit blieb. Er erzählte also der Reihe nach, wie alles gewesen war.
„Das Telefonbuch“, knurrte Herr Kubatz, als Karlchen nichts mehr zu erzählen hatte.
Karlchen flitzte sofort nach dem Buch. Sein Vater nahm es wortlos in Empfang, suchte eine Weile nach der richtigen Telefonnummer, und dann wählte er.
„Hier Kubatz“, meldete er sich. „Ich hoffe, daß ich Sie nicht allzusehr störe, Herr Oberstudiendirektor ...“
Fünf Minuten später sauste der Hauptschriftleiter in seinem knallroten Schlitten zur Wohnung des Schuldirektors. Eine Stunde später war er wieder zurück.
Karlchen schleppte gerade einen Mülleimer zur Straße. Mittwochs kam immer die Stadtreinigung.
„Immerhin scheinst du zu wissen, wie man sich benimmt, wenn man etwas ausgefressen hat“, bemerkte Herr Kubatz.
Karlchen stellte den Mülleimer ab und blickte seinen Vater an, als sei er der Erzengel Gabriel.
„Folgendes, mein Sohn“, berichtete der Hauptschriftleiter. „Dein Fall kommt nicht vor das Lehrerkollegium. Insofern hast du mehr Glück als Verstand gehabt. Aber wenn du dir im Laufe der nächsten drei Monate nur das Geringste zuschulden kommen läßt, fliegst du von der Schule. Eigentlich bist du schon geflogen. Diese drei Monate sind nur so etwas wie eine Bewährungsfrist.“
„Ich verstehe“, murmelte Karlchen.
„Und was uns zwei beide betrifft“, redete Herr Kubatz weiter, „muß ich dir leider mitteilen, daß du dir das Stereogerät, das ich dir zum Geburtstag versprochen hatte, vorerst mal bis Weihnachten in den Kamin schreiben kannst.“ Der Hauptschriftleiter nahm einen Zug aus seiner Pfeife. „Das wäre somit alles. Ende der Fahnenstange.“
„Danke“, sagte Karlchen. Er meinte es ehrlich.
„Bitte“, antwortete Herr Kubatz und kletterte zu seiner Wohnung im zweiten Stock.
Wer was von Grünzeug versteht, kann leichter spionieren
Die kommende Nacht war für so ziemlich alle Zeitungsredaktionen nicht Fisch und nicht Fleisch.
Die Fernschreiber spuckten nur müde Meldungen aus, die nichts hergaben.
Auch ein Satellit, den die Amerikaner wieder einmal in den Weltraum geschossen hatten, war für eine Schlagzeile zu wenig. Damit konnte man keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Das war Schnee von gestern.
Kein Bankeinbruch. Kein Baby für die englische Königin. Kein Schiffsuntergang. Kein Ministerpräsident, der wegen Blinddarm ins Krankenhaus mußte.
Für Zeitungsleute war diese Nacht wirklich ein alter Hut. Manche kramten schon in ihren Schubladen. Sie hatten da immer noch ein paar Sensationen von früher auf Lager, die man in solchen Fällen aufwärmen konnte. Fliegende Untertassen zum Beispiel waren dafür besonders gut geeignet. Die konnte man immer wieder mal auftauchen lassen.
Die Bad Rittershuder Nachrichten allerdings waren dieses Mal fein aus dem Schneider.
Heute hatte Bad Rittershude seine eigene Sensation und war nicht auf Nachrichten aus Moskau oder Tokio angewiesen. Quer über der ersten Seite stand ganz groß:
UNSERE TAUSENDJAHRFEIER.
Der ausführliche Bericht über die gestrige Sitzung im Rathaus füllte auch noch die zweite Hälfte der dritten Seite. In Kursivschrift stand am Ende des Artikels: ein Sonderbericht unseres Hauptschriftleiters A. Kubatz.
Kein Wunder, daß diese Ausgabe der Bad Rittershuder Nachrichten bereits gegen zehn Uhr ausverkauft war. Natürlich wollte jedermann wissen, was während der Festwochen passieren sollte.
Wer gelesen hatte, fing an zu diskutieren.
Die einen behaupteten, daß der Stadtrat das Geld der Steuerzahler zum Fenster hinauswarf. Dagegen waren andere wieder der Meinung, daß man jetzt nicht ans Sparen denken dürfe.
„Hundert Fahnen weniger hätten es auch getan.“
„Das Feuerwerk müßte noch mal so groß sein.“
„Den ganzen Umzug hätte man sich sparen können.“
„Unsinn, gerade der Umzug holt uns die Fremden in die Stadt.“
Bad Rittershude hatte jedenfalls sein Gesprächsthema. Und das vermutlich für
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