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Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)

Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)

Titel: Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Poore
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er es nach Ägypten getan hatte und nach Rom. Er wanderte mit leerem Blick in die tiefsten, dunkelsten, unbekanntesten Wälder, wo er sich zwischen großen Felsen und uralten Bäumen niederkauerte und die Augen schloss und sich vom Schnee bedecken und das Eis auf sich hart werden ließ, bis er selbst kaum mehr war als ein Fels. So blieb er für fünf Sommer oder mehr, bis eines Tages zwei Jäger vom Volk der Hopi vorbeikamen und bemerkten, wie sehr dieser Stein doch einem Menschen ähnelte. Nicht einem einfachen Mann, sondern einem Mann, der traurig war über jedes erträgliche Maß hinaus. Sie stocherten mit ihren Speeren an ihm herum, wie man Kohlen in einem Feuer schürt oder trockene Blätter im Herbst, und stießen erschrockene Rufe aus, als der Stein sich knirschend und knackend rührte und erhob und das Eis absplitterte. Der Teufel betrachtete die Störenfriede mit einem schläfrigen, irritierten Blick, dann stolperte er gähnend davon.
    Die Jäger wechselten ungläubige Blicke, dann glotzten sie dem Teufel hinterher, bis er in Richtung Norden unter den Bäumen verschwunden war.
    Nach einer Weile setzten sie ihre Jagd fort. Die tiefen Wälder waren überall auf der Welt gleich, dachten sie. Die merkwürdigsten Dinge ereigneten sich dort, und wenn man wie sie in den Wäldern umherwanderte, dann bekam man eben, wonach man gefragt hatte.

42
Eine Stille,
die tausend
hundert
Jahre
umfasst
New York, 2005
    Den Traum zu verlassen war, wie die Wälder in der Nacht hinter sich zu lassen.
    Die Dunkelheit der Wälder wurde zur Dunkelheit des Krankenhauszimmers, wo der Teufel halb aus dem Stuhl gefallen war und über Memorys Beinen lag. Seine Kehle schmerzte vom Schnarchen, und Speichel benetzte seine Wange.
    Er richtete sich auf.
    Hob den Blick.
    Und sprang erschrocken auf.
    Memory hatte die Augen geöffnet. Sie starrte ihn an.
    ***
    Memory versuchte zu reden, aber es ging nicht.
    Ihr Unterkiefer knackte. Muskeln und Sehnen waren geschrumpft und hielten ihre Zähne zusammen.
    Ihre Kehle pulsierte – nicht, dass es ihr geholfen hätte.
    Es gab sehr viele Dinge, über die Memory schrecklich gerne geredet hätte, jetzt, wo der Teufel endlich wach war.
    Ihre Amnesie war verflogen.
    Die Erinnerungen, die nun auf sie einstürmten, waren im ersten Moment schwer zu verdauen gewesen. Inzwischen aber war sie seit einer Stunde wach und hatte Zeit gefunden, sich daran zu gewöhnen.
    Es ist nicht einfach, aufzuwachen und sich zu erinnern, dass man ein Engel ist.
    Es ist nicht einfach, aufzuwachen und festzustellen, dass man sich selbst die Erinnerung genommen hat, weil man dachte, wenn man nicht mehr weiß, dass man ein Engel ist, gewöhnt man sich an ein Leben als Tier.
    An ein Leben, nach dem man sich so sehr sehnt, weil die große Liebe, weil der Teufel hier unten zwischen den Tieren lebt. Der Teufel, den man seit schockierend langer Zeit liebt.
    Der Geliebte, der auf deinen Beinen gelegen und geschlafen hat und der nun in seinem Stuhl sitzt und dich ansieht.
    Du hättest zu gerne etwas gesagt, zu gerne. Aber es geht nicht.
    Er hatte es ebenfalls bemerkt.
    »Arden«, sagte er.
    Memory nickte.
    Eine einzelne Träne fiel aus seinem linken Auge.
    Er wollte sie fragen, ob sie diesmal bleiben würde, war aber nicht sicher, ob er die Antwort verkraften konnte. Also saßen sie einfach nur da, in einem Schweigen, das all die Jahre umfing, die sie getrennt gewesen waren, und Memory erinnerte sich an immer neue Dinge.
    Sie spürte ihren Körper um sich herum, ausgemergelt, trocken, verschrumpelt wie eine Mumie.
    Doch sie spürte noch etwas anderes.
    Sie war schwanger.
    Schwanger?
    »Wie …?«, versuchte sie zu fragen, doch es war nur ein Krächzen.
    Der Teufel saß da und schaute sie an, mit der einen Träne, die über seine Wange rann.
    Ja, wie!
    »UuuAstard!« , schrie sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.
    »Was?«, fragte er mit besorgtem Blick. Er beugte sich über sie.
    Ein Glück für ihn, dass ihre Muskeln nicht zu mehr Koordination fähig waren. Er hatte keine Ahnung, dass sie ihn am liebsten windelweich geprügelt hätte. Wie die Dinge lagen, konnte sie nichts weiter tun, als hilflos daliegen und ihn böse anstarren.
    Doch sie ermüdete schnell und beruhigte sich.
    Sie erinnerte sich an die eigenartige Nacht in Rom, vor einer Äon Jahren, als er so voller Liebe gewesen war, dass er gezittert hatte bei dem Versuch, sie zu ihm zurückzubringen. Er hatte es wieder versucht, nur war diesmal nicht mehr genug von ihm da,

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