Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)
um es richtig zu machen. Was geschah mit ihm? Vielleicht vergingen Engel auf der Erde, wurden fahl und schwach wie der Mond. Vielleicht wurden sie alt, und vielleicht starben sie am Ende sogar. Vielleicht schliefen sie ein … was war der Unterschied?
Sie würde es nicht zulassen. Sie würde ihn schützen, vor der Zeit selbst, wenn es sein musste. Vor sich selbst , falls nötig.
Sie würde unter gar keinen Umständen zulassen, dass er erlosch oder schwach wurde, nicht jetzt, nachdem sie endlich …
Sie lag still, spürte die eigentümliche Wärme in ihrem Bauch, den winzigen Puls.
Wusste er Bescheid?
Sie würde es ihm nicht erzählen. Noch nicht. Geschah ihm recht.
Er nahm ihre Hand. Eine weitere Träne rann aus seinem Auge.
Er saß in seinem Stuhl und weinte sich leise in den Schlaf. Vier Jahre des Wartens entluden sich.
Er schnarchte furchtbar, ein grässliches Geräusch zwischen schiefen Zähnen hindurch.
»’astard« , krächzte Memory wütend.
Sie konzentrierte sich auf ihren Arm, bis er ihr halbwegs gehorchte, und streichelte dem Teufel zärtlich über das Haar.
***
Sie versuchte Arme und Beine zu bewegen. Den Hals zu knacken und den Kopf herumzurollen. Die Kiefer zu öffnen und zu schließen. Ein- und auszuatmen und zu schlucken und zu denken und wach zu sein.
Mitte des Nachmittags kamen ein paar Typen vom Koma-Channel durch die Tür geplatzt. Sie hatten live miterlebt, wie Memory aufgewacht war, hatten die Bilder mittels der Kamera verfolgt, die in der Decke versteckt war.
»Wir machen ein Special!«, krähten sie.
Einer von ihnen schüttelte Memory die Hand. Es schmerzte.
»Wir machen eine Mini-Serie!«, krähte ein anderer.
Ihre Übungen zahlten sich aus. Zuerst warf sie einen Wasserkrug nach ihnen, dann die Tasse, und schließlich beide Kissen. Hauptsächlich jedoch war es der Blick ihrer Augen, die irgendwie übermenschlich wirkten und verdammt wütend. Als sie drohte, die versteckte Kamera herunter zu reißen und an sie zu verfüttern, trollten sie sich seitwärts aus dem Raum, aus Angst, ihr den Rücken zuzuwenden.
Der Teufel verschlief dieses Intermezzo.
43
Der
strahlende
Augenblick
Washington, 1962
Der Teufel war eingeschlafen mit dem Gedanken, wie wunderbar die Dinge jetzt waren und von nun an immer sein konnten, wenn sie keinen Mist bauten.
Die Dinge waren schließlich schon früher wunderbar gewesen, und dann hatten sie Mist gebaut, und alles war von einem Moment zum anderen den Bach runtergegangen.
Der Teufel träumte. Er träumte von einer Zeit, als er beinahe geglaubt hatte, sie hätten es endlich geschafft hier unten auf der Erde, vor wenigen Jahrzehnten erst. Damals hatte Amerika einen eleganten neuen Präsidenten mit Namen JFK gehabt.
***
JFK war ein attraktiver Mann. Er war ein Kriegsheld. Er hatte ein Millionen-Dollar-Lächeln und eine Millionen-Dollar-Frau und Millionen Dollars. Die Menschen liebten ihn, ob sie wollten oder nicht, und alles, was er machte, brachte ihn immer noch tiefer in die Supermärkte ihrer Herzen.
Das Dumme war – es war eine gefährliche Zeit. Eine sehr gefährliche. Amerika und Russland hatten jeweils Tausende von Wasserstoffbomben und konnten jederzeit den gesamten Planeten hochjagen. Und das, wo es gerade dermaßen viele neue Konsumprodukte zu kaufen gab und Supermärkte, wo man sie kaufen konnte.
Es sähe den Menschen wieder mal ähnlich, dachte der Teufel, einen ganzen Planeten dem kollektiven Selbstmord zu überantworten, und zwar genau in dem Moment, in dem die Dinge so gut liefen. JFK mochte ein Klasse-Typ sein, doch der Teufel bezweifelte stark, dass er – oder irgendein anderer Mensch, ganz gleich wie attraktiv oder elegant – imstande war, das Undenkbare aufzuhalten, wenn es erst seinen Lauf genommen hatte.
Was der Grund war, aus dem der Teufel mit einem Passagierjet nach Washington flog, ein Taxi in die Pennsylvania Area nahm, an den Wachen vor dem Weißen Haus vorbeischlich und hinauf in die Wohnung im ersten Stock, wo er JFK allein beim Frühstück antraf. Er las die erste von mehreren Morgenzeitungen.
Der Teufel flog durch sein Ohr und machte es sich in seinem Gehirn gemütlich und blickte durch die Augen des Präsidenten hinaus auf die Welt.
Zeit, sich an die Arbeit zu machen. Sobald er das Präsidentenfrühstück vertilgt hatte.
In diesem Moment wehte JFK s Frau in den Raum. Sie trug einen Morgenmantel aus dünner, weicher Seide.
Die Augenbrauen des Teufels schossen in die Höhe.
Frühstück und Arbeit konnten noch
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