Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)
Brust.
»Ich glaube nicht, dass du imstande bist, mir die Erinnerung zurückzugeben. Aber vielleicht irre ich mich.«
Der Teufel grinste und entblößte seine scharfen Zähne. Dann kramte er eine langstielige Tonpfeife aus der Hemdentasche.
»Nein. Du hast recht. Ich habe versucht , deine Erinnerung wachzurufen, eines Nachts, aber ich konnte es nicht. Ich konnte sie nicht mal finden.«
»Du hast versucht, meine Erinnerung zu wecken, ohne mich zu fragen?«
»Ich dachte, es wäre eine nette Überraschung«, erwiderte der Teufel, stopfte die Pfeife, steckte sie mit einem feurigen Zeigefinger an und reichte sie Memory.
Sie inhalierte.
»Seit wann bereitet der Teufel nette Überraschungen?«, sagte sie mit krächzender Stimme und gab die Pfeife zurück.
»Die Leute denken immer, sie kennen mich«, murmelte der Teufel rauchend. »Ich kann genauso nette Dinge tun wie jeder andere auch.«
Memory musterte ihn. Er musste unglaublich alt sein, und wenn man genau hinsah, konnte man es auch erkennen. In seinem gebräunten Gesicht waren Spuren von Falten und Narben, wie ein Schlachtfeld, das wieder überwachsen war. Unter alledem spürte sie verborgene Vibrationen. Er war wie ein Sturm, der noch nicht ausgebrochen war, ein Gedanke, der noch nicht gedacht worden war.
Eine Erinnerung, die man nicht hatte.
»Du hast gesagt, ich würde dich an jemanden erinnern«, sagte sie.
Der Teufel steckte die Pfeife in sein Hemd.
»Ja«, antwortete er gedehnt. »Zum Teil ist es die Art, wie du singst. Vielleicht erzähle ich dir mehr darüber, wenn du nicht wütend bist und wieder in den Bus steigst.«
Memory wartete vielleicht eine Minute, nur um es ihm nicht zu einfach zu machen; dann folgte sie ihm durch die Bäume hindurch und zurück auf die Straße.
***
Während der nächsten paar Stunden redeten sie über alles Mögliche, zum Beispiel über Lieblingsspeisen und Gut und Böse.
Sie unterhielten sich auch über praktische Dinge.
»Wie viel hast du für die beiden anderen Busse bekommen?«, fragte Memory.
»Tausend für jeden.«
Sie schrieb es in ein Notizbuch. Sie hatten nicht mehr viel Geld übrig.
»Außerdem habe ich die Crew mit eurem letzten Geld vom Studio ausbezahlt.«
»Cool. Und warum fahren wir nach Süden?«
»Ich habe dir doch gesagt, du sollst mir vertrauen.«
»Und ich habe Nein gesagt.«
Er antwortete nicht.
»Antworte.«
»Wenn ich es für richtig halte. Spring raus, wenn es dir nicht passt.«
Der Mittag wich dem Nachmittag, der Nachmittag dem Abend. Sie hielten vor einem Holiday Inn. Der Teufel schrieb sie als Mr. und Mrs. John Scratch ein, und der Rezeptionist stellte keine peinlichen Fragen.
***
Am nächsten Morgen ging es weiter Richtung Süden.
In den Smoky Mountains parkten sie den VW -Bus am Straßenrand einer National Park Service Road. Dann folgte Memory dem Teufel durch einen stillen Wald, bis er vor einem alten toten Baum stehen blieb.
Er streckte seine langen Klauen in das hohle Innere und zog etwas heraus, das in Leder eingeschlagen war. Er sagte kein Wort. Memory folgte ihm schweigend zurück zur Straße, wo er das Leder abwickelte und eine Fiedel und einen Bogen zum Vorschein brachte.
Es war eine Fiedel aus Holz oder massivem Gold, je nachdem, wie das Licht darauf schien, und ein Bogen aus dem gleichen Material, gespannt mit etwas, das aussah wie Rosshaar, aber keines war.
»Ich hab Ol’ Ripsaw hier eine ganze Weile nicht mehr gebraucht«, sagte der Teufel, während er die Fiedel von allen Seiten betrachtete.
»Und wofür brauchst du ihn jetzt?«, fragte Memory, obwohl sie die Antwort zu kennen glaubte.
» Du brauchst ihn, nicht ich. Du brauchst einen Gitarristen.«
Er zog den Bogen über die Saiten, und Old Ripsaw stöhnte wie eine alte, verschlafene Seele.
»Bitte sag mir, wohin wir fahren«, bettelte Memory.
»Louisiana«, antwortete der Teufel und zog Funken mit dem Bogen. »Nachsehen, ob der alte Two-John Spade fleißig geübt hat.«
***
In dem Augenblick, als sie die Grenze nach Louisiana überquerten, dampfte und fauchte der Kühler.
Memory wachte unvermittelt auf. »Was ist passiert?«
»Dieses Ding dürfte eigentlich gar keinen Kühler haben!«, schimpfte der Teufel und lenkte den Bus an den Straßenrand. »Der Motor ist luftgekühlt! Deutsche Technik! Wer zum Teufel hat ihn umgebaut?«
»Das Studio hat den Bus für uns gekauft«, sagte Memory und gähnte. »Er war billig.«
»Schön«, sagte der Teufel. »Dann geh uns mal Wasser suchen, damit wir
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