Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)
Patrioten wurden auf der anderen Seite des Creeks gestellt. Sie gaben ihre Bemühungen auf, die Brücke zu erreichen, wandten sich dem Feind entgegen und schossen und kämpften, bis sie überrollt wurden und in der Flut aus roten Uniformen untergingen. An beiden Ufern des Creeks wurde Salve um Salve abgefeuert. Mit einem Mal gab es keinen sicheren Ort mehr. Der Boden unter den Füßen wurde schlüpfrig von Blut.
***
Die Schlacht veränderte den Teufel. Er erinnerte sich nicht, dass er den Abhang zum Creek hinuntergerutscht war. Dass er sich die gegenüberliegende Böschung hinaufgekämpft hatte. Dass er am Fuß der Brücke eine Kanone außer Gefecht gesetzt hatte. Er erinnerte sich auch nicht, dass er auf allen vieren über die Brücke zurückgekrochen war, blutig und zerfetzt.
Er erinnerte sich jedoch verschwommen, Washington auf seinem Pferd gesehen zu haben, immer noch königlich und unnahbar, als wollte er, dass Amerika in Würde unterging, wenn es schon nicht den Sieg davontragen konnte.
Also kämpfte der Teufel sich zu Washington durch, dem zaghaften Bastard, und biss ihn ins Bein.
Washington fluchte und versetzte ihm einen Tritt. Der Teufel landete auf dem Boden, fand eine Muskete und richtete seine Aufmerksamkeit auf einen neuen Gegner. Er spürte in seinem schlachtumnebelten Gehirn, dass er etwas Wunderbares und Notwendiges erreicht hatte.
***
Die roten Uniformen stürmten über die Brücke.
Sie drangen immer weiter vor. Niemand vermochte sie aufzuhalten.
Trotzdem hielten die Patrioten ihre Stellungen und erwiderten wütend das Feuer. Ihre Augen sahen Dinge, die sie später zu vergessen versuchten, jedenfalls diejenigen, die nicht getötet wurden. Der Mond warf sein kaltes Licht auf die Szenerie und machte alles noch schlimmer, falls es überhaupt möglich war. Trotzdem hielten die Patrioten aus. Amerika mochte in jener Nacht sterben, doch es würde kämpfend untergehen.
Und dann veränderte sich plötzlich irgendetwas.
»Washington!«, riefen die Männer und stießen sich gegenseitig mit den Ellbogen an.
Irgendetwas war in den General gefahren.
Er jagte auf seinem Pferd zur nächsten Kanone und ließ sie geradewegs hinunter in den Creek richten, auf die roten Gesichter des Feindes.
Dann ließ er sie feuern.
Und eilte zur nächsten Kanone. Ließ sie ebenfalls feuern. Seine Befehle kamen mit angestrengter, mühsam beherrschter Stimme, als würde er am liebsten sein eigenes, gewichtiges Selbst auf die Rotröcke hinunterfeuern.
»Gebt ihnen Kanister!«, heulte er.
»Kanister« war eine Dose voller winziger Metallkugeln. Auf diese Weise funktionierte die Kanone wie eine riesige Schrotflinte. Kanister abzufeuern war eine sehr gemeine Sache, selbst in der Schlacht. Kein ritterlicher Befehl, ganz und gar nicht. Doch die Männer wagten nicht, sich Washingtons Befehl zu widersetzen.
Er ließ sie vorrücken. Ließ sie am oberen Rand der Böschung in Stellung gehen und Salve auf Salve nach unten feuern, bis der Creek unter den Leichen zu ersticken drohte. Auch auf der Brücke stapelten sich die Toten. Die Schlacht wurde zu einer Horrorshow.
Doch es war eine amerikanische Horrorshow.
***
Nach einer Weile verebbte das Feuer.
Die Briten gaben ihre Bemühungen auf. Die meisten von ihnen hatten schon früher Schlachten erlebt, doch keiner hatte je zuvor gesehen, wie Männer anderen Männern das antaten, was die Amerikaner ihnen antaten.
Der Teufel würde sich an nichts erinnern außer an Blitze und Echos, schwach und verträumt.
Wenn die Soldaten sich erinnerten, stöhnten sie im Schlaf.
Man konnte ihnen nicht verdenken, dass sie die zweite Schlacht von Trenton vergessen wollten. Selbst die Geschichte versuchte sie irgendwo in einem Hinterstübchen zu verbergen.
***
Nach Trenton war Washington für seine Nation eine kompliziertere Gestalt geworden – väterlich und furchteinflößend zugleich.
Nach einiger Zeit wurde er zum Präsidenten.
Der Teufel beobachtete aus der Menge heraus, wie Präsident Washington in seiner Freimaurerschürze den Grundstein für das mächtige Kapitolsgebäude legte.
Als er sich an jenem Abend zum Hotel des Präsidenten in Alexandria begab, in der Hoffnung auf eine nostalgische Unterhaltung und ein Glas Madeira, traf er Washington nicht an.
»Scheiß drauf«, sagte er. Er hatte Pläne geschmiedet, die Indianer in ihren Territorien aufzuwiegeln, und wollte endlich anfangen. Vielleicht gab es auf dem Weg aus der Stadt irgendwo eine gute Taverne. Er ritt los, und bald
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