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Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)

Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)

Titel: Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Poore
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schon säumte hoher Wald die Straße, als er die neue Hauptstadt hinter sich ließ. Er dachte an gegrilltes Lamm und Rum und war froh um das helle Licht des Vollmonds, als eine dunkle Gestalt aus der Nacht heranjagte.
    Der Teufel erspähte nasse Fänge und rasiermesserscharfe Klauen und zog sein Messer, doch dann verharrte die Gestalt auf allen vieren im Unterholz. Ihr Atem ging abgehackt und dampfte aus der furchteinflößenden Schnauze.
    Schließlich erhob sich die Kreatur auf die Hinterbeine wie ein Mensch. Sie blickte den Teufel aus eigenartig intelligenten Augen an.
    »Ihr!«, sagte sie.
    Der Teufel war verwirrt und schwieg.
    Die Gestalt vor ihm schien zu schmelzen, sich zu verändern, wurde zu einem nackten Mann in fortgeschrittenem Alter mit edler Haltung.
    »Washington!«, ächzte der Teufel.
    »Ihr habt mich gebissen!«, sagte Washington, indem er sich – Blut? – von den Lippen wischte.
    »Wir waren auf der Verliererstraße«, erklärte der Teufel.
    Er bot Washington seinen Mantel an, und der Präsident nahm ihn wortlos entgegen.
    »Ihr habt Eure Nation«, beobachtete der Teufel.
    Er dachte an die vielen Menschen, die er im Verlauf der Zeitalter gebissen hatte, und wie sein Biss sie verwandelt hatte. Hier hatte seine dunkle Gabe endlich einmal etwas Gutes bewirkt.
    »Die Menschheit hat ihre Nation!«, widersprach Washington.
    »Möchtet Ihr sie sehen?«, fragte der Teufel und zückte seine Glaskugel.
    Sie begaben sich auf einen niedrigen, baumlosen Hügel mit Ausblick auf das Chaos, das einmal Amerikas Hauptstadt werden würde. Hier und dort erhoben sich Baukräne und Gerüste inmitten von Bergen aus Baumstämmen, Marmor und Ziegeln.
    Sie hielten die Kugel zwischen sich.
    In der Zukunft sahen sie eine grüne breite Allee, einen weiten Rasen, ausgedehnt genug für ganze Dörfer, eingerahmt von prachtvollen weißen Säulen. Eine Meile entfernt stand ein Tempel aus Alabasterstein und Säulen mit einem steinernen Gott darin, den keiner von ihnen beiden kannte.
    Washington betrachtete die marmorne Stadt voller Ehrfurcht.
    »Wie Rom«, flüsterte er.
    »Und Ägypten«, fügte der Teufel hinzu, denn in der Mitte von allem stand ein weißer Obelisk, der nach dem Himmel zu greifen schien.
    »Der ist für Euch«, sagte der Teufel.
    »Es ist ein Fang«, sagte Washington, ein dunkles Licht in den Augen. »Alles ist, wie es sein sollte.«
    »Gute Arbeit«, sagte der Teufel.
    Sie schüttelten sich die Hände.
    Dann entfernte sich Washington, immer noch im Mantel des Teufels, den Hügel hinunter in Richtung seines Hotels, seiner Kleidung und – vermutlich – eines ordentlichen heißen Bades.

16
Das
Chicago
Office
Chicago, 1970
    Das Logo der Assurance Mutual Lebensversicherung war ein goldener Anker.
    In den Büros draußen im Land flüsterten sich die Nachwuchsvertreter in ihren ersten schicken Anzügen zu, der goldene Anker sei echt. Mark Fish habe ihn dem Teufel gestohlen und gegen Bargeld verpfändet, um das Unternehmen zu gründen.
    »Er hat den Anker heute noch«, sagte jemand beim Wasserkühler. »Er ist in Chicago, in den Tresoren der Company gelagert.«
    In Chicago, der Firmenzentrale, waren sie vorsichtiger mit dem, was sie sagten, denn Fish verkehrte dort.
    Er habe einen Dreck vom Teufel gestohlen, entgegneten andere (unter der Hand, ob sie nun in Chicago arbeiteten oder nicht). Er habe einen Deal mit dem Teufel. Wie sonst sollte ein Kerl von gerade mal fünfundzwanzig Jahren Besitzer und Gründer der am schnellsten wachsenden Lebensversicherungsgesellschaft im Mittleren Westen sein?
    »Das ist eben der Mittlere Westen«, sagten einige.
    »Sicher, aber der Mittlere Westen ist das New York der Versicherungen. Abgesehen davon, er war schon früher ein extrem hipper Typ. Er hat sogar in Woodstock gespielt, Mann!«
    Spät in der Nacht flüsterten sie, Fish habe mal einen Mann getötet.
    »Womit denn? Und warum?«
    »Mit einem Aschenbecher. Weil er ein beschissenes Deo benutzt hat. Woher soll ich das wissen?«
    ***
    Es war nicht einfach, bei der Assurance Mutual einer der Bosse zu sein. Weil man gelegentlich widersprüchliche Anweisungen kriegen konnte und der Job möglicherweise davon abhing, welche der sich widersprechenden Anweisungen man befolgte.
    »Es ist eher wie widersprüchliche Philosophien«, sagten einige.
    Die anspruchsvolleren Philosophien kamen nicht vom legendären Fish persönlich, sondern von einem mysteriösen Lieutenant, einem gewissen Mr. Scratch. Niemand schien genau zu wissen, welchen

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