Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)
harte Arbeit, die auf ihre Erledigung wartete. Er schwebte nicht einfach so um einen herum wie eine Glückswolke. Er starrte einen aus animalischen grünen Augen an und schleuderte einem Fragen entgegen, er unterbrach den Schlaf und formte einen nach seinem eigenen Bild um, bis es schien, dass das Du, das berühmt war, kaum noch Ähnlichkeit hatte mit dem Du, das man selbst war. Die meisten Menschen würden niemals verstehen, dass es harte Arbeit bedeutete, berühmt zu sein, und furchteinflößend war es obendrein. Er konnte einen verschlingen. Oder – schlimmer noch – der Ruhm konnte vergehen.
Schwer atmend öffnete Memory die Augen.
Verdammt. Vor einer Sekunde noch war sie so glücklich gewesen. Im nächsten Moment voller Angst. Das hatte sie nun davon, dass sie aufgehört hatte zu denken.
Kleines verlorenes Mädchen , dachte sie und übergab sich ins Badewasser.
Ihr Unbehagen und ihr Ekel hielten nur einen Moment an. Sie hatte den ganzen Tag nichts gegessen. Es war nur Wein.
»Ich bade in meinem eigenen Wein …« , sang sie.
Das Echo schien eine Ewigkeit nachzuhallen wie das künstliche Echo im Tonstudio.
Sie schlief ein, während sie ihm lauschte.
***
Manchmal, wenn er eine Menge Koks inhaliert hatte, erzählte der Teufel, dass er sie liebte.
Nicht Memory selbst.
»Ich liebe sie«, sagte er lallend zu Two-John, Pig oder irgendeinem Fremden. Aber niemand hörte es. Und falls doch, vergaß er es gleich wieder. Auch der Teufel vergaß es bei der geringsten Ablenkung, beispielsweise, wenn er pinkeln musste oder bemerkte, dass er sich vollgepinkelt hatte.
Sich vorübergehend zu verlieben und vollzupinkeln waren gewöhnliche Gefahren seines schnellen, sonderbaren Lebens, wurde ihm bewusst. Genau wie Musik und gute Zeiten und das Gefühl, dass sich eine neue Welt eröffnete.
»Es werde Licht«, sagte der Teufel, ausgespreizt inmitten nackter Frauen in einem kerzenbeleuchteten Hotelzimmer, in dem es nach Pot und Urin stank.
***
Purple Airplane spielte im Madison Square Garden und wohnte im Chelsea Hotel.
Jason Livingston liebte das Chelsea. Er war ein Pilger auf einer Wallfahrt.
»Das Chelsea, ich werd verdammt noch mal verrückt«, schwärmte er, während er sich langsam in der Lobby um die eigene Achse drehte und mit wässrigen Augen die Galerie im Obergeschoss bestaunte. Hier hatten Dylan Thomas und Bob Dylan gewohnt, erzählte er den anderen, und bis vor Kurzem auch Arthur Miller.
William Tell schob sich unwirsch an ihm vorbei und meinte nur, das alles hätte er ihnen schon mindestens hundert beschissene Male erzählt. Two-John blieb gerade lang genug stehen, um Jason beizupflichten. »Nett«, sagte er, dann aschte er auf den Teppich und stapfte zur Bar.
Ein österreichischer Zirkus war im Chelsea abgestiegen. Die Musiker und Roadies von Purple Airplane und die Schausteller und Artisten begegneten sich den ganzen Nachmittag in der Lobby des Hotels. Einmal stieg Memory in den Aufzug und fand sich einem Clown und einem Tanzbären gegenüber.
»Sie dürfen keine Angst haben«, sagte der Clown mit österreichischem Akzent. »Sie kann Angst riechen.«
Die Zirkusleute waren sehr schöne Menschen, jeder von ihnen, ausnahmslos. Während der gesamten Probe im Madison Square Garden redeten Memory und die anderen darüber, wie schön die Leute vom Zirkus waren.
Nach der Show blieben sie die ganze Nacht auf. Der Teufel fuhr sie mit einer Kiste Champagner in der Kennedy-Limousine durch die Gegend, und sie kehrten erst nach Sonnenaufgang ins Chelsea zurück.
Jeder schlurfte müde in sein Zimmer, um schlafen zu gehen, mit Ausnahme von Pig, der verkündete, weiter zu trinken, und der sich in die Bar verzog. Memory schlief auf einem Hocker in ihrem Badezimmer ein.
Sie erwachte vom Läuten des Telefons. Irgendjemand erzählte ihr, der Tanzbär habe seinen Besitzer angefallen und streune nun durchs Hotel. Der Manager und seine Crew waren fieberhaft damit beschäftigt, in jedem Zimmer anzurufen und die Gäste zu warnen, bloß hinter verschlossenen Türen zu bleiben.
Draußen vor Memorys Tür schlurfte irgendetwas den Gang hinunter. »Oh, wow«, krächzte sie.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis die Cops und Sanitäter und der Notarzt eintrafen. In der Zwischenzeit tappte der Bär in die Hotelbar und steckte seine Nase in Pigs Drink.
Pig und der Barmann starrten das Tier mit leeren Blicken an.
Dann rutschte Pig von seinem Hocker, nahm die Bärin an der Leine und führte sie nach oben in ihren
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