Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)

Käfig.
    ***
    Menschen entdecken neue Drogen und neue Liebhaber an den unwahrscheinlichsten Stellen.
    Memory wusste nicht, dass sie im Begriff war, Heroin zu entdecken. Sie war in die Dick Cavett Show eingeladen.
    Es sollte zwei Studiogäste geben. Das Studio richtete es so ein, dass Memory als zweiter Gast vorgestellt wurde. Begleitet von frenetischem Applaus betrat sie auf Plateauschuhen die Bühne. Dick Cavett stellte sie Eliot Crump vor, dem Rockstar der amerikanischen Vogelbeobachter.
    Dann stellte Cavett ihr ein paar intelligente Fragen über Psychedelic Rock, und Memory gab ein paar intelligente Antworten, doch hauptsächlich galt ihre Aufmerksamkeit Eliot.
    Er war ein attraktiver Typ Mitte dreißig und zugleich unglaublich zottelig! Er hatte eine ungezähmte Mähne schwerer schwarzer Locken, einen tiefen Bartschatten und einen Schnurrbart wie eine große schwarze Dschungelraupe. Eliot schaute Memory an. Sie erwiderte den Blick und ertrank beinahe in seinen Augen. Nie zuvor hatte sie derart leuchtende Augen gesehen!
    Später, als sie mehr über Heroin wusste, begriff sie, warum seine Augen so ausgesehen hatten. Doch hier im Studio, vor einem Livepublikum und in einer Sendung, die vor Millionen von Zuschauern ausgestrahlt werden würde, dachte sie nur, wie unglaublich relaxed er doch aussah.
    Dick Cavett fragte Memory nach ihrer Amnesie – einer der Gründe, aus denen sie zugesagt hatte, in seine Show zu kommen, war die Hoffnung, dass irgendjemand sie vielleicht erkannte. Trotz acht Millionen verkaufter Alben mit ihrem Bild hatte sich bisher niemand gemeldet.
    »Ich weiß nicht recht, ob ich erleichtert sein soll oder nicht«, sagte sie. »Auf der einen Seite wäre es schon traumhaft, wenn eines Tages aus dem Nichts irgendein Typ daherkommen und sich als mein Ehemann herausstellen würde. Auf der anderen Seite könnte es auch ein ganz schöner Alptraum sein, verstehen Sie?«
    Dick Cavett fühlte mit ihr – auf eine forsche, knappe Art.
    Er hatte den Rockstar des American Bird-Watching bereits interviewt, doch nun, zum Ende der Sendung, wandte er sich noch einmal an Eliot. »Was für ein Vogel sieht Memory ähnlich? Was würden Sie sagen, Eliot?«
    Offensichtlich war es eines der coolen Dinge an Eliot, dass er ohne Zögern jeden Menschen auf Erden mit einem Vogel vergleichen konnte, der ihm am meisten ähnelte, und seine Antworten trafen immer voll ins Schwarze.
    »Ein Ibis, Dick«, sagte Eliot ohne erkennbares Zögern.
    Das Publikum schnappte nach Luft und applaudierte. Ein Assistent zeigte ein Bild von einem Ibis an der Studiowand, und die Aufzeichnung endete in einem Schwall aus Lachen und Beifall.
    Dann erkundigte sich der Rockstar des American Bird-Watching bei Memory, ob er sie zu einem Drink einladen durfte, und sie erklärte sich einverstanden.
    Und er sagte: »Ich bin übrigens dein verschwundener Ehemann.«
    Sie wurden schnell zu Freunden.
    Er fuhr mit ihr zu einer Bar in Brooklyn.
    Er hatte seinen eigenen Wagen, einen roten LeMans, in dem er von Vermont hierher gefahren war. Es war das erste Mal, dass Memory in einem Wagen mitfuhr, der weder eine Limousine noch ein Tour-Bus war. Sie machte das Beste daraus, kurbelte das Fenster herunter und drehte das Radio laut.
    »Das ist wirklich klasse!«, seufzte sie und legte die nackten Füße aufs Armaturenbrett.
    Eliot sagte nichts. Er fuhr einfach nur, lauschte der Musik und sah unglaublich relaxed aus.
    ***
    Memory fand bald heraus, warum Eliot so ein fantastischer Bird-Watcher war.
    Heroin.
    Am Tag nach der Dick Cavett Show fuhr er mit Memory zu seinem Blockhaus in den Adirondacks.
    Als Erstes teilte er mit Memory eine Tafel Schokolade, um anschließend das Silberpapier mit einem Stück Toilettenpapier glattzustreichen.
    »Was tust du da?«, wollte Memory wissen.
    Eliot fragte sie, ob sie schon einmal den Drachen gejagt hätte.
    »Ist das auch ein Vogel?«, erwiderte sie.
    Eliot lachte, und die dicken schwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht. »Den Drachen jagen sagt man, wenn du Smack rauchst, anstatt es zu schießen. Es ist gesünder.«
    Er erklärte, dass beim Schießen alles, womit das Heroin verschnitten war, direkt in die Blutbahn gelangte. Wenn man es jedoch rauchte, verbrannten die Verunreinigungen.
    Er machte die Folie vollkommen glatt und löste eine winzige Tablette türkisches Smack in Zitronensaft. Es verflüssigte sich beinahe augenblicklich und rollte wie Öl über die Folie.
    Memory hielt ein Streichholz unter die Folie, und Eliot