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Der Ramses-Code

Der Ramses-Code

Titel: Der Ramses-Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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Tochter angehalten hatte, mußte er sie nicht mehr heimlich treffen.Der Notar, ein Mann mit beträchtlichem Berufsstandesdünkel, hätte seine Älteste zwar lieber einem Marquis, Marschall oder Großkaufmann zur Frau gegeben, aber da er erstens schnell begriff, daß die entscheidenden Dinge zwischen den beiden schon geschehen waren, zweitens das Gerede der Leute fürchtete und drittens ein Professor, noch dazu ein so mutiger, ja auch keine allzu schlechte Partie verkörperte (obwohl dieser absonderlich jung war und noch absonderlichere Themen lehrte), hatte er, nach eindringlicher Rücksprache mit der Umworbenen, der Verbindung zugestimmt. Seit der Hochzeitstermin feststand, äußerte er auch keine Einwände mehr dagegen, daß Pauline über Nacht bei ihrem Zukünftigen blieb, womit sich der Mann geradezu als Freigeist entpuppte. Jean-François war zufrieden mit dem Verlauf seiner Werbung. Er hatte das Verhältnis in die Legalität überführt, und wenn er sich tagsüber ausmalte, was ihn des Nachts nun regelmäßig erwartete, drohten die Hieroglyphen vor seinen Augen zu verschwimmen. Daß es kaum Themen gab, über die er mit Pauline reden konnte, und sie nicht die Spur von seiner Arbeit verstand, schien ihn nicht zu stören.
    Stolz präsentierte er Jacques-Joseph die zukünftige Braut. Als sich die Brüder tags darauf an der Universität wieder unter vier Augen sahen, sagte der Ältere ohne Umschweife: »Bist du sicher, daß sie die Richtige ist?«
    Jean-François war überrascht. »Aus deiner Frage entnehme ich, daß du denkst, sie sei es nicht. Warum? Sie ist hübsch und anziehend, und ihr Körper ist wie geschaffen für einen Mann.«
    »Jean-François, ich bin dein Bruder, nimm mir also im Rausch deiner Säfte nicht übel, was ich dir jetzt sage, ich meine es nicht böse –«
    »Was redest du um den heißen Brei? Sag es schon!«
    »Ich meine, ist sie nicht etwas zu beschränkt für dich?«
    Jean-François sah seinen Bruder an, als hätte der ihn geschlagen. »Wie bitte?«
    »Na ja«, druckste Jacques-Joseph, der merkte, daß er wohl zu weit gegangen war.
    »Wie konnte ich vergessen, daß du jeden Abend mit deinerFrau die altgriechische Grammatik durchgehst«, fauchte Jean-François giftig.
    »Entschuldige, ich wollte dich nicht verletzen«, versuchte Jacques-Joseph zu beschwichtigen, aber sein Bruder raffte seine Papiere zusammen, verließ ohne ein Wort das Zimmer und schlug die Tür zu.
    Es dauerte einige Tage, bis sein Zorn verflogen war, und Jacques-Joseph unterließ es fortan, sich zum Thema Pauline zu äußern.
    In seiner Eigenschaft als Assistent des städtischen Bibliothekars hatte Jean-François jederzeit Zutritt zum angrenzenden Grenobler Antikenkabinett. Mitunter setzte er sich abends, wenn das Museum geschlossen war, mit seiner Lektüre in den Raum für die ägyptischen Altertümer. Als Prachtstücke der Sammlung standen dort jene Mumien, deren magischer Abwehrkraft er es zu verdanken hatte, daß seine spätere Frau unbefleckt in sein Bett gestiegen war, sowie zwei sogenannte Kanopen: kindergroße Krüge aus Alabaster, deren Deckel modellierte Tierköpfe zierten. Es war nicht jedermanns Sache, beim Schein eines Leuchters inmitten dieser Relikte zu sitzen, zu lesen oder einfach nur seinen Gedanken nachzuhängen. Gewiß hätte Grenobles Geistlichkeit, wenn einer ihrer Vertreter Zeuge dieser merkwürdigen Beschäftigung geworden wäre, daraus neue Argumente gegen die wissenschaftliche und vor allem moralische Lauterkeit des Professors Champollion gezogen. Dieser selbst gruselte sich keineswegs. Er fühlte sich vielmehr heimisch bei den Mumien, und ihr Anblick war ihm Anlaß stiller Betrachtungen über die Vergänglichkeit allen Lebens und den staunenswerten Ewigkeitsanspruch des Pharaonenvolkes. Er erinnerte sich an die Schilderungen Denons, der ihm erzählt hatte, daß die degenerierten Nachfahren der alten Ägypter die heiligen Mumien nach Kostbarkeiten durchsuchten, sie dabei zerstörten und die Reste als Brennmaterial benutzten, und er war froh, ein paar von ihnen hier in Grenoble geborgen zu wissen.
    Im Museum stand die Wärme, denn der Juliabend war schwül. Draußen zog ein Gewitter auf.
    Jean-François legte sein Buch auf den Schoß und betrachtete die Kanopen. Die meisten Altertumsforscher hielten diese krugartigen Behälter für ägyptische Götterdarstellungen, Sinnbilder der Nilüberschwemmung, deren Name sich angeblich von Kanobos, dem Steuermann des griechischen Königs und Troja-Belagerers

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