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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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durch das offene Fenster und die flatternden Vorhänge flammte, oder allenfalls auf einen überaus heftigen Donnerschlag zu horchen, jedoch so, als sei er ungeduldig, daß ihn dies alles ablenke. Sonst aber saßen sie da mit einer ruhigen Gleichgültigkeit gegen alles, ihre Karten ausgenommen, dem Anschein nach vollkommene Philosophen, und verrieten nicht mehr Leidenschaft oder Aufregung, als wären sie aus Stein gehauen.
    Das Gewitter hatte volle drei Stunden getobt; der Blitz war schwächer und seltener geworden; der Donner, der früher gerade über ihren Köpfen zu rollen und zu krachen schien, war allmählich mit dumpfheiserem Gebrüll in der Ferne erstorben, und noch immer ging das Spiel fort, und noch immer dachte niemand an das geängstigte Kind.

Dreißigstes Kapitel
    Endlich nahm das Spiel ein Ende, und Herr Isaak List stand als der einzige Gewinnende auf. Sein Kamerad und der Wirt trugen ihre Verluste mit der Seelengröße von Professionsspielern. Isaak heimste seinen Gewinn mit der Miene eines Mannes ein, der sichs längst vorgenommen hatte zu gewinnen und der über die erlangten Vorteile weder überrascht noch erfreut war.
    Nells Beutelchen war erschöpft; aber obgleich es leer an der Seite ihres Großvaters lag und die andern Spieler bereits vom Tische aufgestanden waren, saß der alte Mann doch noch brütend über seinen Karten, verteilte sie wie früher und schlug
dann die verschiedenen Päckchen der andern auf, um zu sehen, was jeder erhalten haben würde, wenn sie noch fortspielten. Er war ganz versunken in diese Beschäftigung, als das Kind sich ihm näherte, die Hand auf seine Schulter legte und ihm sagte, daß es fast Mitternacht sei.
    »Da siehst du den Fluch der Armut, Nell«, sagte er, indem er auf die Häufchen wies, die er auf dem Tische verteilt hatte. »Wenn ich nur ein bißchen hätte weiterspielen können, nur ein klein bißchen, so würde sich das Glück auf meine Seite gewendet haben. Ja, das ist so klar wie die Bilder auf den Karten, sieh hier, und da, und wieder da.«
    »Ach, legen Sie sie weg!« drängte das Kind. »Versuchen Sie doch, sie zu vergessen.«
    »Versuchen sie zu vergessen!« entgegnete er, indem er sein hageres Gesicht zu ihr emporwandte und sie ungläubig anstarrte. »Sie zu vergessen? Wie könnten wir je reich werden, wenn ich die Karten vergäße?«
    Das Kind konnte nichts als den Kopf schütteln.
    »Nein, nein, Nell«, fuhr der alte Mann fort, indem er ihr die Wangen streichelte, »die dürfen nicht vergessen werden. Wir müssen den heutigen Verlust so bald als möglich gutzumachen suchen. Geduld, Geduld, und dir soll noch dein Recht werden, das verspreche ich dir. Heute Verlust, morgen Gewinn, und nichts kann gewonnen werden ohne Angst und Sorge, nichts. Komm, ich bin bereit!«
    »Wißt Ihr auch, wie spät es ist?« fragte Herr Groves, der mit seinen Freunden rauchte. »Zwölf Uhr vorbei …«
    »Und eine regnerische Nacht«, fügte der stämmige Mann hinzu.
    »›Der tapfere Soldat‹ von James Groves. Gute Betten. Wohlfeile Herberge für Menschen und Vieh«, sagte Herr Groves, sein Wirtshausschild zitierend. »Halb ein Uhr.«
    »Es ist sehr spät«, entgegnete das Kind unruhig. »Ich wollte, wir wären früher gegangen. Was wird man von uns denken? Vor zwei Uhr können wir kaum zurück sein. Was würde es kosten, Sir, wenn wir hierblieben?«
    »Zwei gute Betten: einen Schilling und sechs Pence; Nachtessen und Bier: einen Schilling. Summa summarum zwei Schilling und sechs Pence«, antwortete ›Der tapfere Soldat‹.
    Nell hatte noch das in ihr Kleid eingenähte Goldstück; und als sie an die späte Stunde dachte, an Madame Jarleys schläfrige Gewohnheiten, an den Schrecken, den man ganz gewiß der guten Dame einjagen würde, wenn man sie mitten in der Nacht herausklopfen wollte – und dann andrerseits überlegte, daß sie nach Hause kommen könnten, noch ehe ihre Beschützerin aufwachte, auch wenn sie hier übernachteten und nur zeitig genug am nächsten Morgen aufständen; daß sie das heftige Gewitter, von dem sie überrascht worden waren, als Entschuldigung für ihr Ausbleiben anführen könnten, entschloß sie sich nach langem Zögern zu bleiben. Sie nahm daher ihren Großvater beiseite und sagte ihm, daß sie noch genug hätte, um die Kosten der Herberge zu bestreiten, weshalb sie ihm vorschlage, hier zu übernachten.
    »Wenn ich nur vorhin das Geld gehabt hätte, wenn ichs nur um ein paar Minuten früher gewußt hätte«, murmelte der alte Mann.
    »Wir

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