Der Raritätenladen
eine Karte in die Hand nehmen, ohne gerupft, geplündert und bis auf den letzten Penny geschröpft zu werden.«
»Hörst du, was er sagt, Nell?« flüsterte der alte Mann, »hörst du das, Nell?«
Das Kind sah mit Staunen und Bestürzung, daß er plötzlich ein ganz verändertes Aussehen hatte. Sein Gesicht glühte vor Begier, seine Augen leuchteten, seine Zähne waren aufeinandergepreßt, sein Atem ging kurz und schwer, und seine Hand, die er auf ihren Arm gelegt hatte, bebte so heftig, daß Nelly unter ihrem Druck zitterte.
»Du bist mein Zeuge«, flüsterte er, zum Himmel aufblickend, »daß ich es immer behauptete, daß ich es wußte, davon träumte, fühlte, daß es so sein muß! Wieviel Geld haben wir, Nell? Nun, ich habe ja gestern Geld bei dir gesehen. Wieviel Geld haben wir? Gib es her!«
»Nein, nein, lassen Sie michs behalten, Großvater!« sagte das Kind erschrocken. »Lassen Sie uns rasch fortgehen von hier! Es macht doch nichts, daß es regnet. Bitte, lassen Sie uns gehen!«
»Gib es her, sage ich!« entgegnete der alte Mann ungestüm. »Nun, nun, Nell, sei doch still, du mußt nicht weinen! Wenn ich dich hart angefahren habe, meine Liebe, so hab ichs nicht so bös gemeint. Es geschieht zu deinem Besten. Ich habe dir unrecht getan, Nell, aber es soll noch gutgemacht werden; ja, ich will es wiedergutmachen. Wo ist das Geld?«
»Nehmen Sie mirs nicht«, versetzte das Kind, »bitte, nehmen Sie mirs nicht, lieber Großvater! Um unser beider willen, lassen Sie michs behalten, oder lassen Sie michs wegwerfen, es liegt besser auf der Straße, als daß Sie es jetzt nehmen. Kommen Sie, lassen Sie uns gehen!«
»Gib mir das Geld«, entgegnete der alte Mann, »ich muß es haben! So – so, du bist meine gute Nell. Ich wills eines Tages wiedergutmachen, Kind. Fürchte nichts – ich wills wiedergutmachen!«
Sie zog ein Beutelchen aus der Tasche. Er riß es mit derselben stürmischen Ungeduld an sich, die sich bereits in seinen Worten ausgedrückt hatte, und eilte auf die andere Seite des Wandschirms. Es war unmöglich, ihn zurückzuhalten, und das Kind folgte ihm zitternd auf dem Fuße.
Der Wirt hatte ein Licht auf den Tisch gestellt und war eben damit beschäftigt, den Fenstervorhang zusammenzuziehen. Die Personen, die man sprechen gehört hatte, waren zwei Männer, zwischen denen ein Spiel Karten und einiges Silbergeld lagen, während die gespielten Partien mit Kreide an der spanischen Wand aufgezeichnet waren. Der Mann mit der rauhen Stimme war ein aufgedunsener Kerl in mittleren Jahren, mit starkem schwarzen Backenbarte, breitknochigen Wangen, einem brutalen großen Mund und einem Stiernacken, den er ziemlich offen zur Schau trug, da sein Hemdkragen nur durch eine lose rote Halsbinde zusammengehalten wurde. Er hatte einen bräunlichweißen Hut auf, und neben ihm lehnte ein dicker Knotenstock. Der andere, den sein Kamerad Isaak genannt hatte, war eine etwas schmächtige Figur, gebeugt und hochschultrig, mit einem häßlichen Gesicht und höchst bösartigen und unheilvoll schielenden Augen.
»Nun, alter Herr«, sagte Isaak sich umsehend, »kennen Sie einen von uns? Diese Seite des Wandschirmes ist privat, Sir.«
»Ich hoffe, doch niemand zu beleidigen?« versetzte der alte Mann.
»Beim Teufel, Sir, freilich ists eine Beleidigung«, entgegnete der andere, dem Alten ins Wort fallend, »wenn Ihr Euch zwei Herren aufdrängt, die tief beschäftigt sind.«
»Ich wollte niemand beleidigen«, sagte der alte Mann und blickte gierig auf die Karten, »ich dachte, daß …«
»Aber Sie haben kein Recht zu denken, Sir!« entgegnete der andere. »Was zum Teufel hat ein Mann in Ihren Jahren noch mit dem Denken zu tun?«
»Nun, du Polterer«, sagte der stämmige Mann, der jetzt zum erstenmal von seinen Karten aufsah, »kannst du ihn nicht ausreden lassen?«
Der Wirt, der augenscheinlich den Entschluß gefaßt hatte, neutral zu bleiben, bis er wußte, für welche Partei sich der stämmige Mann erklärte, pflichtete jetzt bei und meinte:
»Ha, natürlich, könnt Ihr ihn nicht ausreden lassen, Isaak?«
»Ob ich ihn kann ausreden lassen?« höhnte Isaak, indem er mit seiner schrillen Stimme so gut als möglich die Töne des Wirtes nachahmte. »Ja, ich kann ihn ausreden lassen, Jemmy Groves.«
»Wohlan denn, so tut es, hört Ihr?« sagte der Wirt.
Herrn Lists Schielen nahm einen unheilvollen Ausdruck an, der anzudrohen schien, er wolle den Streit länger ausdehnen, als sein Kamerad, der den alten Mann scharf
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