Der Raritätenladen
Morgen an die Tür zu klopfen, und »gute Nacht«.
Nelly fühlte sich, als sie allein war, durchaus nicht behaglich. Sie mußte immer an die Gestalt denken, die sich unten durch den Gang fortgestohlen hatte, und die Aussagen des Mädchens waren nicht geeignet, sie zu beruhigen. Die Männer sahen gar bös aus. Sie lebten vielleicht von der Ausplünderung und Ermordung der Wanderer. Wer konnte das wissen?
Sie suchte diese Befürchtungen durch vernünftige Vorstellungen zu bekämpfen oder vergaß sie wenigstens für eine kleine Weile; aber dann befiel sie die große Angst, die durch die Erlebnisse dieser Nacht erregt wurde. Die alte Leidenschaft war wieder in der Brust ihres Großvaters geweckt, und nur der Himmel wußte, zu welch weiteren Verwirrungen sie führen konnte. Welche Befürchtungen mochte bereits ihre Abwesenheit veranlaßt haben! Vielleicht waren schon jetzt Leute ausgeschickt, um sie aufzusuchen. Hatten sie am Morgen Verzeihung zu erwarten, oder mußten sie sich aufs neue auf den Straßen herumtreiben? Oh, warum waren sie doch an diesem fremden Orte geblieben! Unter allen Umständen würde es besser gewesen sein, wenn sie weitergegangen wären! Endlich, nach und nach überwältigte sie der Schlaf, ein unterbrochener, ängstlicher Schlaf, durch Träume beunruhigt, in denen sie von hohen Türmen herunterfiel und dann mit entsetztem Auffahren erwachte. Darauf folgte ein tieferer Schlummer, und dann – was? jene Gestalt in der Kammer!
Eine Gestalt war da! Ja, Nell hatte die Blende aufgezogen, damit in der Morgendämmerung gleich das Licht einfalle, und dort, zwischen dem Fußende des Bettes und dem dunkeln Fensterrahmen kroch es und schlich es, leise sich weitertappend, und stahl sich um das Bett herum. Sie konnte nicht um Hilfe schreien, hatte keine Kraft, sich zu bewegen, sondern sie blieb still liegen und sah zu. Es kam näher, immer näher, still und verstohlen, bis zum Kopfende des Bettes. Der Atem war ihrem Kissen so nahe, daß sie sich in dasselbe zurückdrückte, um den tastenden Händen ihr Gesicht zu entziehen. Es stahl sich wieder nach dem Fenster zurück, dann wendete es ihr den Kopf zu.
Die dunkle Gestalt war nur ein Fleck in dem helleren Dunkel der Kammer, aber Nell sah das Umwenden des Kopfes; sie fühlte und wußte, wie die Augen dort hersahen und wie jene Ohren horchten. Es blieb dort, regungslos wie sie selber. Endlich, aber immer mit dem Gesicht zu ihr, beschäftigten sich die Hände mit etwas, und sie hörte das Klimpern von Geld.
Dann kam es wieder so stumm und verstohlen wie früher heran, legte die Kleider wieder neben das Bett, ließ sich auf Hände und Knie nieder und kroch fort. Wie langsam es sich zu bewegen und auf dem Boden fortzuschleichen schien, jetzt, da sie nur hören und nicht mehr sehen konnte! Endlich erreichte es die Tür und richtete sich auf. Die Treppen knarrten unter seinen leisen Tritten, und fort war es. Der erste Gedanke des Kindes war, dem entsetzlichen Alleinsein in diesem Gemach zu entfliehen, jemand um sich zu haben, nicht ganz auf sich selbst beschränkt zu sein, und dann würde wohl die Fähigkeit des Sprechens wiederkommen. Ohne zu wissen, wie sie weiterkam, erreichte sie die Tür.
Aber da war der schreckliche Schatten wieder, der unten an der Treppe hielt.
Sie konnte nicht an ihm vorbei; es hätte sich vielleicht in der Dunkelheit machen lassen, ohne daß sie ergriffen worden wäre, aber das Blut gerann ihr bei diesem Gedanken. Die Gestalt stand ganz bewegungslos; und auch sie rührte kein Glied, nicht aus Kühnheit, sondern weil sie dazu gezwungen wurde, denn in das Zimmer zurückzukehren wäre kaum weniger schrecklich gewesen als weiterzugehen.
Der Regen prasselte draußen dicht und wütend nieder und schoß in klatschenden Strömen vom Strohdache. Ein Sommerinsekt, das nicht ins Freie entkommen konnte, flog blind hin und her, stieß gegen Wände und Decke an und erfüllte den stillen Platz mit seinem Gesumme. Die Gestalt bewegte sich wieder. Das Kind tat unwillkürlich dasselbe. Einmal in ihres Großvaters Gemach, und sie wäre sicher.
Die Gestalt schlich den Gang entlang, bis sie vor dieselbe Tür kam, die Nell so sehnsüchtig zu erreichen wünschte. Das Kind, in der Aufregung, so nahe am Ziel zu sein, wäre fast vorwärts gestürzt, um in die Kammer zu eilen und die Tür hinter sich zuzuschlagen, als die Gestalt abermals haltmachte.
Plötzlich blitzte ihr ein Gedanke durch den Kopf: wie, wenn die Gestalt dort hineinginge und den alten Mann zu
Weitere Kostenlose Bücher