Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
Vom Netzwerk:
vereiteln, wenn ich mitginge. Freilich täte ichs ums Leben gern, aber es wird besser sein, wenn Sie mich nicht mitnehmen, Sir.«
    »Eine neue Schwierigkeit!« rief der Herr ungestüm. »War je ein Mensch von so viel Hindernissen bedrängt wie ich? Gibt es niemand anders, der sie kennt, niemand anders, zu dem sie Vertrauen hätten? Ihr Leben war freilich sehr einsam, aber gibt es denn gar keinen Menschen, der mir zu meinem Ziel helfen könnte?«
    »Kennst du niemand, Christoph?« fragte der Notar.
    »Niemand, Sir«, versetzte Kit. »Doch halt! ja, meine Mutter.«
    »Ist sie ihnen bekannt?« fragte der ledige Herr.
    »Ob sie ihnen bekannt ist, Sir? Ei, sie ging immer ein und aus. Man behandelte sie so freundlich wie mich. Du lieber Himmel, Sir, sie hat immer gehofft, sie würden zurück in ihr Haus kommen.«
    »Dann, wo zum Teufel ist das Weib?« rief der fremde Herr ungeduldig, indem er nach seinem Hute griff. »Warum ist sie nicht hier? Warum ist sie nicht hier? Warum ist dieses Weib immer woanders, wenn man sie am dringendsten braucht?«
    Mit einem Worte, der ledige Herr war eben im Begriff, aus
dem Bureau zu stürzen, fest entschlossen, bei Kits Mutter Gewalt zu gebrauchen, sie in eine Postchaise zu zwingen und mit ihr fortzulaufen. Aber den vereinten Kräften des Notars und Herrn Abels gelang es mit vieler Mühe, diese sensationelle Entführung zu verhindern; sie hielten ihn durch Vorstellungen von seinem Vorhaben ab und überredeten ihn, erst Kit auszufragen, ob denn seine Mutter überhaupt imstande und willens wäre, so plötzlich eine derartige Reise zu unternehmen.
    Dies veranlaßte einige Bedenken seitens Kits, einige ungestüme Äußerungen seitens des ledigen Herrn und viele Beschwichtigungsversuche seitens des Notars und des Herrn Abel. Das Ergebnis der Unterhandlung war, daß Kit nach sorgfältiger Erwägung aller Umstände im Namen seiner Mutter versprach, daß sie innerhalb zwei Stunden bereit sein würde, die Reise anzutreten, und er erbot sich, sie vor Ablauf dieser Frist vollkommen reisefertig hierherzubringen.
    Nachdem Kit diese etwas kühne Zusicherung, die nicht sonderlich leicht zu erfüllen war, gegeben hatte, eilte er unverzüglich fort und traf Maßregeln, sein Wort einzulösen.

Einundvierzigstes Kapitel
    Kit eilte durch die überfüllten Straßen, brach sich mit dem Ellenbogen Bahn durch die Menge, huschte über die dröhnenden Fahrstraßen, schlüpfte durch Gäßchen und Winkel und hielt keinen Augenblick inne, bis er in die Nähe des Raritätenladens kam, vor dem er stehenblieb, teils aus Gewohnheit, teils um Atem zu schöpfen.
    Es war ein trüber Herbstabend, und es kam ihm vor, als hätte der alte Ort nie so unheimlich ausgesehen wie in diesem trüben Zwielicht. Die zerbrochenen Scheiben, die rostigen, in
ihren Rahmen klappernden Schiebefenster, das öde Haus, kalt, düster und leer in der Mitte der Straße stehend, einer finstern Barriere ähnlich, welche die glitzernden Lichter und das geschäftige Treiben in zwei lange Zeilen teilte, gewährten einen unfreundlichen Anblick, der grell abstach von den glänzenden Luftschlössern, die der Knabe für die alten Besitzer errichtet hatte und der nun wie eine Enttäuschung oder ein Unglück wirkte. Kit hätte gern ein hübsches prasselndes Feuer in den leeren Kaminen gehabt, Lichter, die durch die Fenster flimmern und leuchten, lebhafte Menschen, die hin und her gehen, hätte gern fröhliche Stimmen reden gehört – kurz etwas, das mit den neuen Hoffnungen, die sich in ihm regten, übereinstimmte. Er hatte nicht erwartet, daß das Haus anders aussehen würde, hatte er doch bestimmt gewußt, daß das nicht sein konnte; wie er es aber nun so plötzlich vor sich sah, während ihn die brennendsten Erwartungen und lebhaftesten Gedanken beschäftigten, da stockte deren Strom und wurde durch einen wehmütigen Schatten verdüstert.
    Zum Glück war jedoch Kit nicht gelehrt oder tiefsinnig genug, um sich durch die Vorboten eines weit entfernten Übels beunruhigen zu lassen, und da er keine geistige Brille trug, die in dieser Beziehung seiner Sehkraft nachhelfen konnte, so erblickte er weiter nichts als das öde Haus, das zu seinen früheren Gedanken in einem unbehaglichen Gegensatz stand. Ohne sich deutlich bewußt zu sein, warum, wünschte er fast, diese Straße vermieden zu haben, und er eilte wieder vorwärts, den kurzen Aufenthalt durch raschere Schritte einbringend.
    »Aber wenn sie jetzt nicht zu Hause ist«, dachte Kit, als er sich der

Weitere Kostenlose Bücher