Der Raritätenladen
vor dem Kamin.
Die Wirtshausgäste, die bei des Schulmeisters Eintreten verwirrt aufstanden, taten, was man unter solchen Umständen gewöhnlich zu tun pflegt: jeder rief nach seiner Lieblingsarznei, die niemand brachte; jeder schrie: »Luft! Luft!«, dabei wurde aber die vorhandene Luft sorgsam ausgeschlossen, indem alle einen dichten Kreis um den Gegenstand des Mitleids bildeten. Jeder wunderte sich, daß der andere nicht Hilfe leistete, keinem aber fiel es ein, daß er selbst es tun könnte.
Die Wirtin jedoch, die behender und rühriger war als alle übrigen und überhaupt die Ursache dieses Zustandes rascher erfaßte, kam bald mit etwas heißem Grog herbeigesprungen, während ihr Dienstmädchen mit Weinessig, Hirschhorn, Riechsalz und andern Belebungsmitteln folgte. Unter gebührender Anwendung solcher heilsamen Arznei erholte sich Nell so weit, um ihnen danken und dem armen Schulmeister die Hand entgegenstrecken zu können, der mit ängstlich bekümmerter Mie
ne neben ihr stand. Ohne sie auch nur ein Wort sprechen oder sich weiter rühren zu lassen, brachten sie die Weiber alsbald zu Bette, deckten sie warm zu, hüllten ihre kalten Füße, nachdem sie sie gebadet, in Flanell und schickten nach einem Arzte.
Der Doktor, ein rotnasiger Herr, dem ein großes Bündel Petschafte von der gerippten schwarzen Atlasweste herunterhing, kam in aller Eile an, setzte sich neben Nells Bett, zog seine Uhr heraus und fühlte ihr den Puls. Sofort besah er ihre Zunge, fühlte dann wieder den Puls, und während er dies tat, beäugelte er wie in tiefem Nachdenken das halbleere Weinglas.
»Ich würde ihr«, sprach endlich der Doktor, »hin und wieder einen Teelöffel heißen Grog reichen.«
»Ei, geradeso haben wirs gemacht, Doktor!« rief die Wirtin hocherfreut.
»Auch würde ich«, bemerkte der Doktor, der gerade über die Stiege kam, als der Kübel mit warmem Wasser hinuntergetragen wurde, »auch würde ich«, sagte der Doktor mit der Stimme eines Orakels, »ihre Füße in warmes Wasser stecken und sie danach mit Flanell umwickeln. Ich würde ihr auch«, fuhr der Doktor mit erhöhter Feierlichkeit fort, »etwas Leichtes zu essen geben, den Flügel eines gebratenen Huhns etwa …«
»Ei du mein gütiger Himmel, Sir, es ist in diesem Augenblick eins auf dem Küchenfeuer!« rief die Wirtin.
Und so war es auch wirklich, denn der Schulmeister hatte ein Huhn zurichten lassen, und es war jetzt bereits so weit gediehen, daß der Doktor recht wohl den Duft hätte riechen können, was er vielleicht auch getan hatte.
»Sie können ihr auch«, fuhr der Doktor gravitätisch aufstehend fort, »ein Glas süßen, heißen, etwas gewürzten Portwein geben, wenn sie Wein trinken mag …«
»Und eine Röstschnitte, Sir?« fragte die Wirtin.
»Ja«, antwortete der Doktor in dem Tone eines Mannes, der würdevoll etwas genehmigt, »und eine Röstschnitte – von Brot. Aber wollen Sie gefälligst darauf sehen, Ma'am, daß sie wirklich aus Brot besteht.«
Mit dieser Einschärfung, die in gebührend langsamer und nachdrücklicher Weise gegeben wurde, entfernte sich der Doktor, und alle im Hause bewunderten seine Weisheit, die in so genauem Einklang mit ihrer eigenen gestanden hatte. Jedermann sagte, er wäre wirklich ein sehr gescheiter Arzt, der sich vollkommen auf die Konstitutionen der Leute verstände, für welche Annahme wohl auch einiger Grund vorhanden sein mochte.
Währen das Essen zugerüstet wurde, sank Nell in einen erfrischenden Schlaf, aus dem sie geweckt wurde, sobald ihr Gericht fertig war. Sie zeigte große Unruhe, als sie erfuhr, daß der Großvater unten sei, und wollte durchaus nicht von ihm getrennt sein, weshalb er mit ihr essen mußte; und da sie sich über diesen Punkt noch nicht beruhigen wollte, so machte man ihm sein Bett in einem Nebenkämmerchen, in das er sich bald zurückzog. Zum Glück steckte der Schlüssel dieses Zimmerchens auf Nells Seite, und sobald sich die Wirtin entfernt hatte, drehte ihn das Kind um und kroch mit dankbarem Herzen wieder in sein Bett.
Der Schulmeister saß noch eine geraume Zeit, seine Pfeife rauchend, bei dem nun verlassenen Küchenfeuer und dachte mit froher Miene über den glücklichen Zufall nach, der ihn dem Kinde zur rechten Zeit als Helfer geschickt hatte; und so gut es seine einfache, gerade Natur fertigbrachte, wich er dem neugierigen Kreuzverhör der Wirtin aus, die gar zu gern alle Einzelheiten aus Nells Leben und Geschichte gewußt hätte. Freilich war der arme Schulmeister
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