Der Raritätenladen
so offenherzig und so wenig in den gewöhnlichen Schleichwegen der Welt bewan
dert, daß sie unfehlbar in den ersten fünf Minuten ihr Ziel erreicht haben würde, wäre ihm nicht zufällig das, was sie zu wissen wünschte, selbst ganz unbekannt gewesen, und das sagte er ihr auch. Die Wirtin, durchaus nicht mit dieser Versicherung zufrieden, die sie nur für ein schlaues Ausweichen auf ihre Frage hielt, meinte, er werde wohl Gründe für seine Schweigsamkeit haben. Aber der Himmel verhüte, daß der Wunsch in ihr aufkomme, die Angelegenheiten ihrer Gäste auszuspionieren, die sie doch gar nichts angingen; sie, die genug mit ihren eigenen zu tun hätte. Es wäre nur eine höfliche Frage gewesen und eine solche finde gewiß auch immer eine höfliche Antwort; sie sei ganz zufriedengestellt, vollkommen. Nur wäre es ihr vielleicht lieber gewesen, wenn er gleich gesagt hätte, daß er mit nichts herausrücken wolle, denn das wäre offen und ehrlich gewesen. Natürlich hätte sie aber durchaus kein Recht, sich gekränkt zu fühlen; denn er müßte am besten wissen, was er zu tun habe, und es wäre sein Recht, das zu sagen, was ihn gut dünke. Niemand könne das auch nur einen Augenblick bestreiten. – O mein Gott, nein!
»Ich versichere Ihnen, meine gute Frau«, entgegnete der sanfte Schulmeister, »daß ich Ihnen die reine Wahrheit gesagt habe; so wahr ich selig zu werden hoffe, ich habe Ihnen die Wahrheit mitgeteilt!«
»Ei, dann glaube ich wirklich, daß Ihrs ernst meint«, erwiderte die Wirtin in der besten Laune, »und es tut mir sehr leid, daß ich Sie belästigt habe. Aber Neugierde, wie Sie wissen, ist der Fluch unseres Geschlechtes, und das ist wahr.«
Der Wirt kratzte sich den Kopf, als dächte er, dieser Fluch plage bisweilen das andere Geschlecht gleichfalls; er wurde jedoch durch des Schulmeisters Entgegnung verhindert, eine dahin zielende Bemerkung fallenzulassen, wenn er wirklich eine im Sinne gehabt hatte.
»Sie können mich meinetwegen sechs Stunden ununterbrochen ausfragen, ich hätte gar nichts dagegen, und wenn ich könnte, wollte ich Ihnen geduldig Rede stehen, um der Herzensgüte willen, die Sie heute abend bewiesen haben«, sagte er. »So aber bitte ich, daß Sie sich morgen nach ihr umsehen und mich zeitig wissen lassen, wie es ihr geht. Sie sehen in mir den Zahlmeister für uns drei.«
Und sich so von ihnen in einer freundschaftlichen Weise verabschiedend, die durch die letzte Bemerkung an Herzlichkeit gewiß nichts eingebüßt hatte, ging der Schulmeister zu Bett, und Wirt und Wirtin folgten seinem Beispiel.
Des andern Morgens hieß es, Nell sei besser, aber außerordentlich schwach, und werde wenigstens noch einen Tag Ruhe und sorgfältige Pflege brauchen, ehe sie ihre Reise wiederaufnehmen könnte.
Der Schulmeister freute sich über diese Nachricht ungemein und meinte, er habe noch einen Tag übrig, für den Notfall auch zwei, und könne daher recht gut warten. Da man glaubte, die Kranke werde gegen Abend aufstehen können, so versprach er, sie zu einer bestimmten Stunde auf ihrem Stübchen zu besuchen, worauf er mit seinem Buche spazierenging und erst zur Zeit des verheißenen Besuchs wieder heimkam.
Nell konnte sich der Tränen nicht erwehren, als sie allein waren, und auch der ehrliche Schulmeister weinte, als er ihr tränenbenetztes, blasses Gesicht und ihre abgezehrte Gestalt sah, polterte aber sehr energisch im nächsten Augenblick, als er ihr beweisen wollte, wie töricht es sei zu weinen und wie leicht man es vermeiden könnte, wenn man es nur versuchen wollte.
»Trotz Ihrer Güte«, sagte das Kind, »macht es mich doch ganz unglücklich, wenn ich daran denke, daß wir Ihnen zur Last fallen sollen. Wie kann ich Ihnen je genug danken? Wenn
ich Sie nicht so weit von Ihrer Heimat getroffen hätte, wäre ich wohl auf der Straße gestorben, und er hätte niemand mehr gehabt, der für ihn sorgte.«
»Reden wir nicht mehr von Sterben und Zurlastfallen«, versetzte der Schulmeister; »denn seit ihr in meiner Hütte schlieft, habe ich mein Glück gemacht!«
»Wirklich?« rief das Kind freudig.
»Ja, ja«, erwiderte der Freund. »Ich bin zum Küster und Schulmeister in einem fernen Dorf ernannt worden, sehr weit entlegen von meinem früheren, wie du dir vorstellen kannst, und erhalte jährlich fünfunddreißig Pfund. Fünfunddreißig Pfund!«
»Ich bin so froh«, sagte das Kind, »so riesig froh!«
»Ich bin eben auf dem Wege dahin«, fuhr der Schulmeister fort. »Man hat mir
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