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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Rändern mit Bruchstücken von Messingplatten beschlagen, die einstmals eine Inschrift hatten; heute könnte man sie freilich kaum mehr ent
ziffern. Um diese Jahreszeit ist mein Vorrat zusammengeschmolzen; aber alle diese Gesimse werden beladen sein nächsten Sommer.«
    Die Kleine bewunderte und lobte seine Arbeit und entfernte sich bald nachher. Im Gehen machte sie sich ihre Gedanken, wie seltsam es sei, daß dieser alte Mann, der doch aus seinem ganzen Treiben und seiner ganzen Umgebung eine ernste Lehre zog, nie daran dachte, sie auf sich selbst anzuwenden, und daß er, während er doch so gern über die Ungewißheit des menschlichen Lebens sprach, sowohl in Worten als in Werken sich selbst für unsterblich zu halten schien. Ihre Betrachtungen fanden jedoch hier noch keine Grenze, denn sie war klug genug einzusehen, daß vermöge der weisen und gnadenreichen Ordnung Gottes die menschliche Natur so sein mußte und daß der alte Totengräber mit seinen Plänen für den nächsten Sommer nur ein Typus der ganzen Menschheit wäre.
    Mit solchen Gedanken erfüllt gelangte sie zur Kirche. Es war leicht, den Schlüssel zum Portale zu finden, denn an jedem hing ein Streifen von gelbem Pergament, auf dem seine Bestimmung vermerkt war. Schon das Umdrehen des Schlüssels in seinem Schlosse weckte einen hohlen Ton, und als sie mit zögernden Schritten eintrat, erschrak sie über das Echo, das beim Zuschnappen des Schlosses geweckt wurde.
    Wenn der Frieden des einfachen Dörfchens einen mächtigen Eindruck auf Nell gemacht hatte, weil es so abstach von den düstern und mühevollen Wegen, die jenseits lagen und über die sie mit so schwachen Füßen gewandert war, wie tief mußte sie sich nicht ergriffen fühlen, als sie sich allein fand in diesem feierlichen Gebäude, in dem selbst das Licht, das durch die eingesunkenen Fenster strömte, alt und grau erschien und in dem die Luft, nach Erde und Moder riechend, mit einer
Verwesung beladen schien, die sich mit der Zeit von ihren gröberen Bestandteilen gereinigt hatte und nun, wie der Hauch entschwundener Jahrhunderte, durch die Bogen und Säulenhallen seufzte! Da waren die geborstenen Fliesen, die vor so langer Zeit von frommen Füßen abgetreten worden waren, daß die Zeit, den Schritten der Pilgrime verstohlen folgend, ihre Spur ausgelöscht und nur ein zerbröckelndes Gestein zurückgelassen hatte. Da war das faulende Gebälk, das sich senkende Gewölbe, die untergrabene und modernde Mauer, der niedere Erdwall, das stattliche Grab, auf dem die Aufschrift verwischt war – alles – Marmor, Stein, Eisen, Holz und Staub, ein einziges gemeinschaftliches Denkmal der Vergänglichkeit. Die besten Werke wie die schlechtesten, die einfachsten wie die reichsten, die prunkvollsten wie die unbedeutendsten, die des Himmels wie die des Menschen; alle ereilte hier dasselbe Schicksal, und sie erzählten insgesamt nur eine Geschichte.
    Ein Teil des Gebäudes war eine Freiherrngruft gewesen, und hier lagen die Grabfiguren von Kriegern mit gefalteten Händen auf ihren Betten von Stein ausgestreckt – diejenigen, die im Kreuzzug gefochten, hatten ihre Beine gekreuzt –, mit ihrem Schwert umgürtet, mit ihren Rüstungen bekleidet, genau wie im Leben. Einige jener Ritter hatten ihre eignen Waffen, Helme und Panzerhemden neben ihren Gräbern an der Wand hängen, an der sie auf rostigen Haken hin und her baumelten. Obgleich geborsten und verfallen, hatten sie noch ihre Formen behalten, ja selbst noch etwas von ihrem alten Aussehen. So überleben auf Erden gewaltsame Handlungen ihre Urheber, und die Spuren von Krieg und Blutvergießen sind noch fühlbar, nachdem diejenigen, welche das Werk der Zerstörung begangen, längst selbst zu Atomen der Erde geworden sind.
    Die Kleine setzte sich an diesem alten stillen Orte unter den
starren Gestalten auf den Gräbern nieder – es war ihr, als verbreiteten sie hier mehr Frieden als an irgendeiner andern Stätte – und fühlte, indem sie mit ehrfurchtsvollem Schaudern, das gemildert wurde durch ein stilles Entzücken, umherblickte, das sie jetzt glücklich und ruhig war. Sie nahm eine Bibel von dem Gesimse und las; dann legte sie das Buch nieder, dachte an die Sommertage, an die schöne Zeit des kommenden Frühlings, an die Sonnenstrahlen, die schräg über die schlafenden Gestalten fallen würden, an die Blätter, die am Fenster zittern und ihre flimmernden Schatten auf das Pflaster werfen würden, an den Gesang der Vögel, an die Knospen und Blüten

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