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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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springen, zu balgen oder die Wiesen zu zertreten. Dieser Vorschrift, belehrte er den Schulmeister in demselben hörbaren Flüstertone, hätte er seines Wissens als Junge gewiß nicht Folge leisten können, und wenn es ihm ans Leben gegangen wäre.
    Da der Schulmeister diese kleinen Proben von des Bachelors Gemüt und Charakter als sicheren Beweis dafür annehmen durfte, daß seine eigene Methode willkommen sein würde, trennte er sich leichten Herzens und in fröhlicher Laune von ihm und hielt sich für den glücklichsten Menschen auf Erden. Die Fenster der zwei alten Häuser leuchteten wieder an jenem Abend von dem Widerschein des lustigen Feuers, das
drinnen prasselte; und als der Bachelor und sein Freund, die eben von ihrem Abendspaziergang zurückkehrten, stehenblieben, um die hellen Scheiben zu betrachten, da sprachen sie ganz leise von dem schönen Kind und blickten seufzend auf dem Friedhof umher.

Dreiundfünfzigstes Kapitel
    Nell war des andern Morgens früh auf, und nachdem sie ihre häuslichen Arbeiten verrichtet und für den Schulmeister alles zurechtgesetzt hatte – obgleich sehr gegen seinen Willen, da er ihr gern die Mühe erspart haben würde –, nahm sie von dem Nagel neben dem Herde ein kleines Bund Schlüssel herunter, das ihr der Bachelor tags zuvor förmlich eingehändigt hatte, und ging allein fort, um die alte Kirche zu besuchen.
    Der Himmel war schön und heiter, die klare Luft duftete von den frischen Wohlgerüchen neu gefallener Blätter und erquickte die Sinne. Der benachbarte Strom funkelte und wogte weiter mit melodischem Rauschen; der Tau glänzte auf den grünen Grabhügeln wie Tränen, die gute Geister über die Toten vergießen.
    Einige kleine Kinder spielten zwischen den Gräbern mit lachenden Gesichtern Verstecken. Sie hatten ein Wickelkind bei sich, das sie in ein kleines Laubbett auf ein Kindergrab gelegt hatten, auf dem es ruhig weiterschlummerte. Es war ein neues Grab, vielleicht der Ruheplatz irgendeines kleinen Wesens, das, geduldig und sanft in seiner Krankheit, oft dagesessen und ihnen zugesehen hatte und auch jetzt in ihren Augen kaum verändert schien. Nell trat näher und fragte eins der Kinder, wessen Grab das wäre. Das Kind antwortete, es hieße nicht Grab, es sei ein Garten – seines Bruders Garten. Er sei
grüner, meinte er, als alle übrigen Gärten, und die Vögel liebten ihn besonders, weil der schlafende Bruder sie immer gefüttert habe. Nach diesen Worten sah sie der Kleine lächelnd an, kniete nieder, legte einen Augenblick seine Wange gegen den Rasen und sprang fröhlich weiter.
    Nell ging an der Kirche vorbei, sah an dem alten Turme in die Höhe und begab sich durch das Pförtchen ins Dorf. Der alte, auf eine Krücke gelehnte Totengräber schöpfte vor seiner Hütte frische Luft und wünschte ihr guten Morgen.
    »Es geht Euch besser?« sagte Nell, indem sie stehenblieb, um mit ihm zu sprechen.
    »O freilich«, entgegnete der alte Mann. »Ich kann Gott nicht genug danken, daß ich sagen darf: viel besser.«
    »Ihr werdet bald ganz gesund sein.«
    »Mit Gottes Wille und mit ein bißchen Geduld. Doch kommen Sie herein, kommen Sie herein!«
    Der alte Mann hinkte voran, machte sie auf die Stufen aufmerksam, die hinunterführten und über die er selbst nur sehr schwer humpelte, und führte sie in seine kleine Hütte.
    »Sie sehen, es ist nur eine Stube. Oben befindet sich zwar eine zweite, aber in den letzten Jahren ist mir das Treppensteigen immer saurer geworden, und ich mache keinen Gebrauch mehr von ihr. Im nächsten Sommer denke ich übrigens sie doch wieder zu beziehen.«
    Das Kind wunderte sich, daß ein grauhaariger Mann wie er – und noch obendrein einer seines Gewerbes – die Zeit so leicht nehmen konnte. Er sah ihre Augen über die Werkzeuge gleiten, die an der Wand hingen, und lächelte.
    »Ich wollte doch wetten«, sagte er, »daß Sie glauben, man brauche alles dies zum Gräbermachen.«
    »Ja wirklich, ich wunderte mich, daß man dazu so viele Geräte nötig hat.«
    »Auch mit Recht. Ich bin nämlich ein Gärtner, grabe den Grund auf und pflanze Dinge, die leben und gedeihen sollen. Nicht alle meine Werke modern und verfaulen in der Erde. Sehen Sie diesen Spaten in der Mitte?«
    »Den ganz alten, der so schartig und abgenutzt ist? Ja.«
    »Das ist der Totengräberspaten, ein fleißig gebrauchtes Werkzeug, wie Sie sehen. Wir sind gesunde Leute hier; er hat aber doch schon tüchtig gearbeitet. Wenn dieser Spaten sprechen könnte, so würde er von

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