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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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manchem unverhofften Geschäft erzählen, das er und ich miteinander abgemacht haben; aber ich vergesse es, denn mein Gedächtnis ist schwach. Das ist übrigens nichts Neues«, fügte er hastig hinzu, »es war immer so.«
    »Da sind Blumen und Gesträuche, die von Eurer andern Beschäftigung erzählen«, sagte das Kind.
    »O ja, und hohe Bäume. Aber dieses Geschäft ist nicht so ganz von dem Totengräbergewerbe zu trennen, wie Sie denken.«
    »Nein?«
    »Das heißt, nicht in meinem Gedächtnis und in meiner Erinnerung«, fuhr der alte Mann fort. »Ja, sie helfen meinem Gedächtnis sogar oft nach. Denn angenommen, ich pflanze den und den Baum für einen solchen und solchen Mann. Er steht dann da, um mich daran zu erinnern, daß er starb. Wenn ich seinen breiten Schatten betrachte und mir vorstelle, wie klein er seinerzeit war, hilft er mir das Datum meiner andern Arbeit bestimmen, so daß ich ziemlich genau sagen kann, wann ich sein Grab gemacht habe.«
    »Aber er kann Euch auch an jemand erinnern, der noch lebt«, entgegnete Nell.
    »An zwanzig Verstorbene, wenn ich an den einen Lebenden denke«, entgegnete der alte Mann; »Weib, Mann, Eltern, Brü
der, Schwestern, Kinder, Freunde, wenigstens an zwanzig. Darum ist auch der Totengräberspaten so abgenutzt und abgestoßen. Ich werde einen neuen nötig haben, nächsten Sommer.«
    Nell sah rasch zu ihm auf, denn sie glaubte, daß er über sein Alter und seine Gebrechlichkeit scherze; aber der harmlose Totengräber meinte es sehr ernst.
    »Ach«, sagte er nach einem kurzen Schweigen, »die Leute lernen nie. Sie wollen nie lernen. Nur wir, die wir den Boden aufwühlen, in dem nichts wächst und alles verwest, denken an solche Dinge, denken ordentlich über sie nach, meine ich. Sind Sie in der Kirche gewesen?«
    »Ich will eben hin«, versetzte das Kind.
    »Es ist ein alter Brunnen dort«, fuhr der Totengräber fort, »unmittelbar unter dem Glockenstuhl, ein tiefer, dunkler, widerhallender Brunnen. Vor vierzig Jahren durfte man nur den Eimer so weit hinunterlassen, bis der erste Knoten des Seiles von der Winde los war, um ihn in dem kalten Wasser plätschern zu hören. Das Wasser fiel allmählich, so daß man zehn Jahre später einen zweiten Knoten machte, bis zu dem man den Strick abwinden mußte, wenn der Eimer nicht frei in der Luft schweben sollte. Im Laufe von weiteren zehn Jahren fiel das Wasser wieder, und ein dritter Knoten wurde gemacht. Und noch zehn Jahre später trocknete der Brunnen aus, und jetzt, wenn Sie den Eimer so weit hinunterlassen, bis Ihre Arme müde sind und der Strick fast zu Ende ist, hören Sie ein plötzliches Klirren und Rasseln unten auf dem Grunde. Und der Schall ist so hohl und klingt von so tief herauf, daß man vor Schreck außer sich gerät und zurückfährt, weil man hineinzufallen glaubt.«
    »Ein schrecklicher Ort, wenn man etwa im Finstern ihm nahe kommt!« rief Nell, die den Blicken und Worten des alten
Mannes so aufmerksam gefolgt war, daß sie schließlich glaubte, sie stände am Rande des Brunnens.
    »Was ist er denn anderes als ein Grab?« sagte der Totengräber. »Was sonst? Und wer von unsern alten Leuten, die alles dies mit angesehen haben, dachte bei dem Versiegen des Quells an das Hinschwinden der eignen Kraft und an das täglich kürzer werdende Leben, die Minderung der Lebenstage? Nicht einer!«
    »Seid Ihr selbst schon sehr alt?« fragte das Kind unwillkürlich.
    »Ich werde neunundsiebzig nächsten Sommer.«
    »Ihr arbeitet noch immer, wenn Ihr gesund seid?«
    »Arbeiten? Gewiß! Sie sollten meine Gärten hierherum sehen! Schauen Sie einmal zu dem Fenster dort hin. Ich habe dieses Stück Land ganz allein mit meinen Händen umgegraben und in gutem Stande erhalten. Übers Jahr um diese Zeit werde ich kaum den Himmel sehen, so dicht werden die Zweige geworden sein. Auch habe ich im Winter des Nachts meine Arbeit.«
    Er öffnete bei diesen Worten einen Wandschrank dicht neben sich und brachte einige Büchschen, ganz einfach aus altem Holz geschnitzt, zum Vorschein.
    »Manche vornehme Leute, die Freude an alten Zeiten haben und an allem, was mit diesen verbunden ist«, sagte er, »kaufen gern solche kleine Erinnerungszeichen an unsere Kirche und unsere Ruinen. Bisweilen mache ich sie aus einem Stückchen Eichenholz, das da und dort zum Vorschein kommt, bisweilen aber auch aus den Überresten von Särgen, die sich in den Gewölben lange erhalten haben. Sehen Sie her, dies ist ein kleines Kistchen der letzteren Art, an den

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