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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Herzens
zurückkehrte, um in der Heimat zu sterben. Und als in letzter Zeit von gelehrten Altertumsforschern bewiesen wurde, daß dies nicht jener Baron sein könne, da der fragliche Rittersmann – so behaupteten sie – im Schlachtgetümmel gefallen sei, zähneknirschend und fluchend bis zum letzten Atemzuge, da beharrte der Bachelor steif und fest dabei, daß die alte Sage gewiß wahr sei, daß der Baron, sein Unrecht tief bereuend, viel Gutes getan und gottergeben seinen Geist ausgehaucht hätte. Und wenn je ein Baron in den Himmel kam, so ging dieser in den seligen Frieden ein. In gleicher Weise – wenn die genannten Altertümler nicht gelten lassen wollten, daß ein gewisses altes graues Gewölbe das Grabmal einer alten Dame sei, die unter der Regierung der glorreichen Königin Beß gehängt und gevierteilt wurde, weil sie einem unglücklichen Priester, der an ihrer Tür vor Hunger und Durst verschmachtete, Beistand leistete – versicherte der Bachelor feierlich allen Besuchern gegenüber, daß die Kirche durch die Asche jener alten Dame geheiligt sei; man habe ihre sterblichen Reste des Nachts an den Stadttoren gesammelt, heimlich hierhergebracht und aufbewahrt. Bei solchen Gelegenheiten geriet der Bachelor sehr in Eifer, leugnete den Ruhm der Königin Beß und behauptete, das gemeinste Weib ihres Königreichs, dem ein zartes und mitleidiges Herz im Busen schlug, habe unmeßbar höher gestanden als sie. Was jedoch die Behauptung betraf, daß der flache Stein in der Nähe der Tür nicht das Grab des Geizhalses sei, der sein eignes Kind verstoßen und der Kirche eine Geldsumme hinterlassen habe, um ein hübsches Geläute anzuschaffen, so gab der Bachelor bereitwillig seine Zustimmung, indem er versicherte, es sei nie ein solcher Mann in dem Orte geboren worden. Mit einem Worte, er hätte gewünscht, daß jeder Stein und jede Metallplatte die Denkmäler von Taten sein möchten, die in der Er
innerung fortzuleben verdienten. Alle andern wollte er gern vergessen. Man mochte sie allenfalls auf geweihtem Boden beerdigen, aber dies sollte, seiner Ansicht nach, tief genug geschehen, damit sie nicht wieder ans Licht kämen.
    Von den Lippen eines solchen Führers lernte Nell ihre leichte Aufgabe. Da sie bereits durch die schweigenden Gewölbe und die friedliche Schönheit des Ortes – majestätisches, von ewiger Jugend umgebenes Alter – über alle Maßen ergriffen war, meinte sie, als sie diese Sagen hörte, alles sei hier der Tugend und der Frömmigkeit geweiht. Die Kirche kam ihr wie eine andere Welt vor, in die nie Sünde oder Sorge kam, ein friedliches Ruheplätzchen, gefeit gegen alles Böse.
    Nachdem ihr der Bachelor fast bei jedem Grabmal oder Grabstein dessen Geschichte erzählt hatte, nahm er Nell mit in die alte Gruft – jetzt bloß ein verödetes Gewölbe – und zeigte ihr, wie sie zu den Zeiten der Mönche beleuchtet wurde und wie man in alten Tagen zu mitternächtiger Stunde oft den Gesang alter Stimmen hörte, während Gestalten in Kutten umherknieten und ihren Rosenkranz beteten, mitten unter Lampen, die von der Decke niederhingen, schwingenden Rauchfässern, welche die Düfte des Weihrauchs aushauchten, von Gold und Silber glänzenden Kirchengewändern, Gemälden, kostbaren Stoffen und Juwelen, und das alles funkelte und glänzte durch die niedrigen Gewölbebogen. Dann führte er sie wieder hinauf und zeigte ihr hoch oben in den alten Wänden kleine Galerien, in denen die Nonnen einst leise auf und ab huschten – man konnte sie aus weiter Entfernung kaum in ihren dunkeln Anzügen unterscheiden – oder wie düstere Schatten stillhielten, um auf die Gebete zu horchen. Er belehrte sie auch, wie die Krieger, deren Statuen auf den Gräbern lagen, einst die aufgehängten rostigen Waffenrüstungen getragen hätten, wie dies ein Helm, das ein Schild, jenes ein Panzerhandschuh ge
wesen sei und wie man die großen zweihändigen Schwerter geschwungen oder mit jener Eisenkeule Menschen niedergeschlagen habe.
    All dies prägte die Kleine tief in ihr Gedächtnis ein, und wenn sie hin und wieder des Nachts aus ihren Träumen von solchen alten Zeiten erwachte, von ihrem Bettchen aufstand und auf die dunkle Kirche hinaussah, da hoffte sie fast, die Fenster erleuchtet zu sehen und den Schall der Orgel und menschliche Stimmen in dem Rauschen des Windes zu hören.
    Der alte Totengräber erholte sich bald, und er ging wieder aus. Von ihm lernte Nell noch manches andere, obgleich ganz anderer Art. Er war noch nicht

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