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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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draußen, an die süße Luft, die sich hereinstehlen und die zerrissenen Banner über den Häuptern der Standbilder sanft in Bewegung setzen würde. Was lag daran, daß der Ort Gedanken an den Tod weckte! Er blieb doch immer derselbe, mochte sterben, wer da wollte, dieser Anblick, diese Töne würden nie aufhören, würden immer gleich beseligend sein. Der Gedanke, in ihrer Mitte zu schlafen, konnte nichts Schmerzliches haben.
    Sie verließ die Gruftkapelle sehr langsam und wendete oft den Kopf, um zurückzuschauen. Dann gelangte sie zu einer niedrigen Tür, die augenscheinlich zum Turme führte, öffnete sie und kletterte im Dunkel die Wendeltreppe hinan. Alles um sie war finster, ausgenommen wenn sie durch enge Gucklöcher auf den eben verlassenen Ort hinunterblickte oder die glänzenden Umrisse der staubigen Glocken sah. Endlich erreichte sie das Ende der Treppe und stand auf dem Kranze des Turmes.
    Welche Pracht des plötzlich auftauchenden Lichtes! Die frischen Felder und Wälder, die sich nach allen Richtungen hin dehnten, bis sie das blaue Himmelsgewölbe säumten; das auf den Weiden grasende Vieh; der aus den Bäumen aufsteigende
Rauch, der scheinbar aus der grünen Erde dampfte; die Kinder, die weit unten spielten; alles, alles so schön und glücklich! Es war wie ein Übergang vom Tode zum Leben, ein Näherrücken an den Himmel.
    Als sie aus dem Portale trat und die Tür schloß, waren die Kinder bereits fort. Im Vorbeigehen hörte sie aus dem Schulhause ein emsiges Summen vieler Stimmen. Ihr Freund hatte an diesem Tage sein Amt angetreten. Der Lärm wurde lauter, und als sie zurückblickte, sah sie die Jungen scharenweise herauskommen und sich unter lustigem Jubel und Spiel zerstreuen. »Es ist gut so«, dachte Nell; »es freut mich sehr, daß sie an der Kirche vorbeigehen.« Und dann blieb sie stehen, um sich eine Vorstellung machen zu können, wie sich das Getöse wohl innen ausnähme und wie sanft es dem Ohr zu verhallen schiene.
    Noch einmal, ja sogar noch zweimal stahl sie sich an jenem Tage in die alte Kapelle zurück und las auf ihrem früheren Sitze in demselben Buche oder hing denselben friedlichen Gedanken nach. Selbst als es bereits dunkel geworden war und die Schatten der hereinbrechenden Nacht die Umgebung noch feierlicher machten, blieb Nell, wie wenn sie sich nicht allein losreißen könnte, ohne sich zu fürchten, ja sogar ohne sich zu rühren.
    Endlich fand man sie hier und brachte sie nach Hause. Sie sah blaß, aber sehr glücklich aus, bis sie einander gute Nacht sagten; doch dann, als der arme Schulmeister sich niederbeugte, um sie auf die Wange zu küssen, da glaubte er auf seinem Gesicht eine Träne zu spüren.

Vierundfünfzigstes Kapitel
    Der Bachelor fand neben seinen verschiedenen Beschäftigungen auch in der alten Kirche eine nie versiegende Quelle des Interesses und der Unterhaltung. Mit jenem Stolze, den die Menschen gerne für die Wunder ihrer eignen kleinen Welt bewahren, hatte er sich das Studium ihrer Geschichte zur Aufgabe gemacht, und an manchem Sommertage traf man den Bachelor in ihren Mauern oder manchen Winterabend an dem traulichen Herde des Pfarrhauses, wie er eifrig über seinen reichen Schatz von Erzählungen und Legenden nachsann und ihm eine neue anfügte.
    Er war keiner von jenen schroffen Geistern, die der schönen Wahrheit jedes kleine schattenhafte Gewand abstreifen möchten, mit dem die Zeit und die schaffende Phantasie sie geschmückt hat. Kleiden sie ja solche Hüllen bisweilen so lieblich und sind, wie die Wasser eines Quells, geeignet, den Reizen, die sich halb verbergen, halb erraten lassen, neue Anmut zu verleihen und weit eher Interesse und Streben zu erwecken, als Erschlaffung und Gleichgültigkeit zu veranlassen. Ungleich dieser strengen Menschenklasse liebte er es also, die Göttin zu schauen, gekrönt mit den Kränzen wilder Blumen, die ihr die Tradition gewunden hatte, und die am frischesten in ihrer ungekünstelten Gestalt sind; und aus diesem Grunde trat er behutsam näher und rührte vorsichtig an dem Staube von Jahrhunderten, ohne die luftigen Altäre, die sich über ihm erhoben hatten, zerstören zu wollen, wenn nur irgendein gutes Empfinden, ein liebevolles Menschenherz in ihnen verborgen lag. So war es anläßlich eines alten Steinsarges. Durch viele Generationen hindurch glaubte man, er enthalte die Gebeine eines Barons, welcher, nachdem er in fremden Landen mit Feuer und Schwert geplündert hatte, reuigen und bekümmerten

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