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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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welchem Falle‹, sagen diejenigen, die es zu Tode gehetzt haben, – ›obgleich es nicht zu erwarten steht – sich niemand mehr freuen wird als wir‹. Es wäre jedoch besser, wenn die Welt bedächte, daß die
Ungerechtigkeit an sich schon für jeden edlen und untadelhaften Charakter die schmerzhafteste, quälendste und unerträglichste Kränkung ist und daß aus diesem Grunde so manches reine Gewissen seine Rechtfertigung an höherer Stelle vorbrachte und so manches starke Herz brach. Denn das Bewußtsein der Unschuld erhöht nur das Leid und macht es unerträglicher.
    Im Falle Kit war jedoch der Welt nichts vorzuwerfen. Aber Kit war unschuldig; und das Bewußtsein seiner Unschuld, der Gedanke, daß ihn seine besten Freunde für schuldig hielten, daß Herr und Madame Garland ihn als ein Scheusal von Undankbarkeit betrachten müßten, daß Barbara alles, was schlimm und verbrecherisch ist, mit seinem Namen in Verbindung brächte, daß das Pony sich ganz verlassen vorkäme und daß vielleicht selbst seine eigene Mutter den gewichtigen Zeugnissen, die gegen ihn sprachen, Glauben schenken und ihn wirklich für den halten möchte, der er schien, alles dies verursachte ihm Seelenqualen, die jeder Beschreibung spotten, und er ging in der kleinen Zelle, in der er die Nacht über eingeschlossen war, fast wahnsinnig vor Kummer und Schmerz auf und ab.
    Und selbst als der Sturm dieser Gefühle einigermaßen nachgelassen hatte und er ruhiger zu werden anfing, tauchte ein neuer Gedanke in seiner Seele auf, der ihn kaum weniger ängstigte. Nell, der leuchtende Stern in dem Leben des einfachen Knaben, sie, die immer wie ein schöner Traum zu ihm zurückkehrte, die seine freudlosen Jahre zu den glücklichsten und besten gemacht hatte, die immer so edel, so rücksichtsvoll und freundlich gewesen war, was mußte sie denken, wenn sie jemals von dieser Sache hören sollte!Während er sich diesen Gedanken hingab, schienen die Mauern seines Gefängnisses zurückzuweichen, und an ihrer Stelle erblickte er das alte Haus,
wie es gewöhnlich an Winterabenden aussah, der Herd, der kleine Tisch, des alten Mannes Hut, Rock und Stock, die halboffene Tür, die zu ihrem kleinen Kämmerchen führte – alles war wieder da. Und Nell selbst war da, und er auch, beide herzlich lachend, wie sie so oft getan hatten, und als Kits Phantasie ihn so weit getragen hatte, da konnte er nicht weiter, da warf er sich auf sein ärmliches Lager und weinte.
    Es war eine lange Nacht, die kein Ende zu nehmen schien; doch schlief er auch und träumte, daß er frei sei, daß er umhertolle, bald mit dem einen, bald mit dem andern; aber immer befiel ihn wieder die Angst, ins Gefängnis zurückgeholt zu werden; nicht gerade in dieses Gefängnis, sondern in ein anderes, von dem er nur eine dunkle Vorstellung hatte. Es war auch wieder kein Haus, war vielmehr Kummer und Sorge, etwas Beängstigendes, das nicht von ihm wich und das er doch nicht definieren konnte. Endlich graute der Morgen, und da war der Kerker selbst, kalt, düster und traurig und nur zu greifbar.
    Er blieb übrigens sich selbst überlassen, und das war ein Trost für ihn. Er durfte zu einer bestimmten Stunde in einem kleinen gepflasterten Hof spazierengehen und hörte von dem Kerkermeister, der seine Zelle aufschloß und ihm zeigte, wo er sich waschen könne, daß die Gefangenen jeden Tag zu einer bestimmten Stunde Besuche annehmen dürften; wenn also jemand von seinen Freunden zu ihm kommen sollte, würde er ihn zu dem Gitter herunterholen. Nachdem ihm der Mann dies mitgeteilt und ihm eine zinnerne Schüssel eingehändigt hatte, die das Frühstück enthielt, schloß er ihn wieder ein, ging rasselnd durch den steinernen Gang, öffnete und schloß viele andere Türen und weckte zahllose Echos, die lange noch durch das Gebäude hallten, als wären auch sie hier eingesperrt und könnten nicht hinaus.
    Der Gefängniswärter hatte ihm zu verstehen gegeben, daß er, wie einige andere, abgeschieden von dem großen Haufen der Gefangenen untergebracht worden sei, weil man ihn nicht für ganz verderbt und verloren halte und er früher noch nie in der Anstalt gewesen sei. Kit war dankbar für diese Nachsicht, setzte sich und las sehr aufmerksam den Kirchenkatechismus, obgleich er ihn von früher Kindheit an auswendig wußte, bis er den Schlüssel im Schlosse klirren hörte und der Mann wieder eintrat.
    »Also«, sagte er, »komm Er mit.«
    »Wohin, Sir?« fragte Kit.
    Der Mann begnügte sich mit der kurzen Antwort:

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