Der Raritätenladen
»Besuch!«, nahm ihn dann genau so, wie tags zuvor der Polizist, beim Arme, führte ihn durch mehrere verschlungene Gänge und starke Türen auf einen Gang, in dem er ihn vor ein Gitter stellte, und ließ ihn allein. Etwa vier oder fünf Fuß hinter diesem Gitter befand sich ein zweites, und zwischen beiden saß ein Schließer, der eine Zeitung las. Jenseits der äußeren Barriere erblickte Kit mit klopfendem Herzen seine Mutter, die das Büblein auf dem Arme hatte, Barbaras Mutter, mit dem nie fehlenden Regenschirme, und den armen kleinen Jakob, der aus Leibeskräften hereinstierte, als suche er den Vogel oder die wilden Tiere; denn er glaubte, die Menschen wären nur zufällig hinter dem Gitter und hätten mit den eisernen Stangen unmöglich etwas zu schaffen.
Sobald aber der kleine Jakob seines Bruders ansichtig wurde und bemerkte, daß dieser, obgleich er seine Arme durch das Gitter steckte, um ihn zu umarmen, nicht näher kam, sondern weit weg stehenblieb, den Kopf auf den Arm gesenkt, den er auf eine der Eisenstangen stützte, begann er höchst kläglich zu weinen. Daraufhin brachen Kits Mutter und Barbaras Mutter, die sich allen nur möglichen Zwang angetan
hatten, aufs neue in ein Schluchzen und Weinen aus. Der arme Kit mußte auch weinen, und niemand war imstande, auch nur ein Wort zu sprechen.
Der Schließer las während dieser trübseligen Pause seine Zeitung mit einer schmunzelnden Miene, denn er war augenscheinlich zu den humoristischen Aufsätzen geraten, bis er zufällig rasch aufschaute, als wollte er durch angestrengtes Nachdenken einem versteckteren Witz ganz auf den Grund kommen, und dabei sah, daß jemand weinte.
»Aber meine Damen, meine Damen«, sagte er, überrascht umherblickend, »ich möchte euch raten, eure Zeit nicht in dieser Weise zu vergeuden. Sie ist hier etwas gemessen, müßt ihr wissen. Auch dürft ihr das Kind keinen solchen Lärm machen lassen. Es ist gegen alle Regel.«
»Ich bin seine arme Mutter, Sir«, schluchzte Frau Nubbles, sich verbeugend, »und dies ist sein Bruder, Sir. Ach, mein Gott, mein Gott!«
»Nun«, versetzte der Schließer, indem er seine Zeitung auf dem Knie zusammenlegte, so daß er mit größerer Bequemlichkeit zur nächsten Spalte übergehen konnte; »ihr wißt, es führt doch zu nichts. Er ist nicht der einzige, der hier festsitzt. Ihr braucht da keinen solchen Lärm darüber zu machen!«
Nach diesen Worten las er wieder weiter. Man war nicht unnatürlich grausam oder hartherzig. Er hatte mit der Zeit gelernt, die Verbrechen als eine Art Krankheit, etwa wie das Scharlachfieber oder den Rotlauf, zu betrachten; einige Leute hattens, andere hattens nicht, wie sichs eben traf.
»O mein lieber Kit«, rief seine Mutter, der Barbaras Mutter mitleidig das Bübchen abgenommen hatte. »Daß ich meinen armen Jungen hier sehen muß!«
»Ihr glaubt doch nicht, daß ich getan habe, was man mir zur Last legt, liebe Mutter?« entgegnete Kit mit erstickter Stimme.
»Ob ich es glaube?« rief die arme Frau. »Ich, die dich von deiner Wiege an nie auf einer Lüge oder einer schlechten Handlung ertappte, die nie um deinetwillen betrübt war, außer wenn ich dein kärgliches Mahl sah! Und das verzehrtest du so fröhlich und zufrieden, daß ich ganz vergaß, wie wenig es war, wenn ich daran dachte, wie gut und verständig du trotz deiner Jugend warst! Ich es glauben von dem Sohne, der von der Stunde seiner Geburt an bis auf diesen Tag mein Trost gewesen ist und den ich nicht einen einzigen Abend zornig zu Bett brachte! Ich es von dir glauben, Kit!«
»Nun denn, Gott sei Dank!« entgegnete Kit, indem er die Eisenstangen mit einem Eifer packte, der sie erschütterte; »dann kann ich es ertragen, Mutter. Mag kommen, was da will, es wird mir immer ein Tropfen Seligkeit im Herzen bleiben, wenn ich denke, daß Ihr so gesprochen habt.«
Bei diesen Worten brach die arme Frau abermals in ein Weinen aus und Barbaras Mutter gleichfalls. Auch der kleine Jakob, dessen verworrene Gedanken sich inzwischen einen etwas klareren Begriff darüber gebildet hatten, daß Kit nicht ausgehen konnte, wenn er wollte, und daß es keine Vögel, Löwen, Tiger oder andere Naturmerkwürdigkeiten hinter diesen Stäben gebe – nein, rein gar nichts als einen gefangenen Bruder –, vereinte seine Tränen so geräuschlos als möglich mit den ihrigen.
Kits Mutter, die ihre Augen trocknete und dabei mehr Tränen vergoß, als sie abwischen konnte, die arme Seele, nahm nun vom Boden ein kleines Körbchen
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