Der Raritätenladen
Wenn du ihr nicht genügend tüchtig zusetzt, werde ich mit der Tür knarren, und wehe dir, wenn ich viel knarren muß. Geh!«
Frau Quilp entfernte sich auf seinen Befehl. Ihr liebenswürdiger Gatte, der sich hinter der etwas geöffneten Tür verbarg und sein Ohr an diese legte, begann mit großer Aufmerksamkeit und Schlauheit zu horchen.
Die arme Frau Quilp dagegen überlegte, wie sie anfangen und welche Fragen sie stellen sollte, und erst als die Tür knarrte und sie ermahnte, ohne weiteres ans Werk zu gehen, ließ sie ihre Stimme vernehmen.
»Du hast dich in der letzten Zeit recht oft bei Herrn Quilp sehen lassen, meine Liebe.«
»Ich habe es auch schon hundertmal dem Großvater gesagt«, versetzte Nell unschuldig.
»Und was sagte er darauf?«
»Er seufzte nur, ließ den Kopf sinken und schien so traurig und betrübt, daß Sie gewiß hätten weinen müssen, wenn Sie es mit angesehen hätten; ja, ganz gewiß, Sie hätten auch weinen müssen – so wie ich. Wie aber diese Tür knarrt!«
»Sie knarrt oft so«, entgegnete Frau Quilp mit einem unruhigen Blicke nach der Tür. »Aber dein Großvater – er war doch sonst nicht so gedrückt?«
»O nein!« sagte das Kind hastig. »Es war sonst ganz anders. Wir waren früher so glücklich und er so heiter und zufrieden. Sie können sich keinen Begriff machen, welch eine traurige Veränderung seitdem mit uns vorgegangen ist.«
»Es tut mir leid, sehr leid, dich so sprechen zu hören, meine Liebe«, sagte Frau Quilp. Und sie sprach die Wahrheit.
»Ich danke Ihnen«, erwiderte das Kind, indem es ihre Wange küßte; »Sie sind immer so freundlich gegen mich, und ich spreche so gern mit Ihnen. Ich kann mit niemand von ihm sprechen, als mit dem armen Kit. Zwar bin ich immer noch sehr glücklich, und ich sollte vielleicht noch glücklicher sein, als ich es bin; aber Sie können sich nicht denken, wie es mich manchmal schmerzt, ihn so verändert zu sehen.«
»Es wird wieder anders kommen, Nelly«, sagte Frau Quilp. »Er wird wieder werden, wie er früher war.«
»Ach, wenn der liebe Gott das nur wollte!« erwiderte das
Kind, und Tränen entströmten seinen Augen; »aber es ist schon lange her, seit er anfing – ich glaube, die Tür dort bewegte sich!«
»Das tut der Wind«, versetzte Frau Quilp mit tonloser Stimme. »Seit er anfing …«
»So gedankenvoll und niedergeschlagen zu sein und zu vergessen, wie wir sonst die langen Abende zugebracht hatten«, fuhr das Kind fort. »Ich las ihm an dem Kamin vor, und er hörte zu, und wenn ich aufhörte und wir zu sprechen begannen, erzählte er mir von meiner Mutter, daß sie als kleines Kind genau so wie ich aussah und genau wie ich sprach. Dann setzte er mich immer auf seinen Schoß und versuchte mir begreiflich zu machen, daß sie nicht in ihrem Grabe liege, sondern in ein schönes Land, noch weit hinter dem Himmel, geflogen sei, in dem man nimmer stirbt und nimmer alt wird – wir waren damals sehr glücklich!«
»Nelly! Nelly!« sagte die arme Frau; »ich kann es nicht mit ansehen, daß ein so junges Geschöpf so betrübt sein soll. Ich bitte dich, weine nicht.«
»Ich weine so selten«, versetzte Nell; »aber ich habe alles allein getragen – und ich bin nicht ganz wohl, glaube ich, denn die Tränen kommen mir in die Augen, ohne daß ich sie aufhalten kann. Ich mache mir nichts daraus, Ihnen meinen Kummer zu erzählen, denn ich weiß, daß Sie nichts davon weitersagen werden.«
Frau Quilp wandte den Kopf ab und gab keine Antwort.
»Dann«, sprach das Kind weiter, »gingen wir auch oft in den Feldern und unter den grünen Bäumen spazieren; wenn wir dann nach Hause kamen, gefiels uns nur um so besser, weil wir müde waren, und wir waren ganz glücklich über unser Haus. Es ist zwar dunkel und etwas langweilig; aber wir pflegten zu sagen: ›Was kümmert es uns? Denn wir denken
dann nur um so lieber an unsern letzten Spaziergang und sehen mit um so größerer Freude unserm nächsten entgegen.‹ Aber jetzt hat es mit dem Spazierengehen ein Ende, und obgleich es noch das nämliche Haus ist, so ist es doch viel dunkler und düsterer geworden, als es früher war. Ja, ja, es ist so!«
Sie hielt inne; aber obgleich die Tür mehr als einmal knarrte, sagte Frau Quilp kein Wort.
»Sie dürfen aber nicht glauben«, sagte das Kind ernst, »als ob der Großvater weniger freundlich gegen mich wäre als sonst; denn er liebt mich im Gegenteil mit jedem Tage mehr und wird mit jedem Tage gütiger und zärtlicher gegen mich.
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