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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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damit, ihn den ganzen Tag über zu bewachen. Als es dunkel geworden war, stand er auf, begab sich nach Hause und ging zu Bett, wobei er vor sich hin murmelte: »Sie wird morgen kommen!«
    Des andern Tages war er wieder dort, von Sonnenaufgang bis nachts; und dann legte er sich wieder zu Bett und sagte: »Sie wird morgen kommen!«
    Und von nun an wartete er jeden Tag und den ganzen Tag, neben ihrem Grabe sitzend, auf sie. Wie viele Bilder von neuen Reisen durch liebliche Gegenden, von Ruheplätzen unter dem freien, weiten Himmelszelt, von Streifzügen durch Felder und Wälder auf selten betretenen Pfaden, wie viele Töne dieser einen, wohlbekannten Stimme, wie viele flüchtige Visionen von ihrer Gestalt, von ihrem flatternden Kleide, den Locken, die so fröhlich im Winde wallten, wie viele Vorstellungen von dem, was gewesen und was, wie er hoffte, wiederkommen
sollte, erstanden hier in der alten, düstern, schweigenden Kirche vor seinem Geiste! Er sagte ihnen nie etwas von seinen Träumereien oder wohin er ging. Er saß nachts neben ihnen, und sie konnten sehen, mit welcher geheimen Lust er über die Flucht nachdachte, die er und sie ergreifen würden, ehe die Nacht wiederkäme; und noch immer konnten sie ihn betend flüstern hören: »Herr, laß sie doch morgen kommen!«
    Das letztemal war es an einem schönen Frühlingstage. Er blieb über seine gewohnte Stunde aus, und als sie hingingen, um ihn zu suchen, fanden sie ihn tot auf dem Stein liegen.
    Man begrub ihn an der Seite derjenigen, die er so innig geliebt; und in der Kirche, in der sie so oft gebetet, geträumt und Hand in Hand geweilt hatten, schliefen das Kind und der alte Mann friedlich nebeneinander.

Schlußkapitel
    Der magische Knäuel, der voranrollend den Erzähler so weit geführt, mäßigt nun seine Schnelligkeit und hält inne. Er liegt an seinem Ziele; die Jagd ist zu Ende.
    Es bleibt uns jetzt nur noch übrig, die Hauptpersonen des kleinen Häufleins zu entlassen, das auf dem Wege Gesellschaft geleistet hat, und die Reise zu schließen.
    Als erste von ihnen nehmen der geschmeidige Sampson Braß und Miß Sally Arm in Arm unsere höfliche Aufmerksamkeit in Anspruch.
    Herr Sampson wurde, wie wir bereits gehört haben, von dem Friedensrichter, bei dem er vorsprach, zurückgehalten, und da dieser ihn so angelegentlich drängte, seinen Aufenthalt zu verlängern, daß er das Gesuch in keiner Weise ablehnen konnte, verblieb er geraume Zeit unter dessen Schutz, während wel
cher Zeit sein Wirt ihm eine so außerordentliche Aufmerksamkeit erwies, daß er für die Gesellschaft ganz verloren war und nicht einmal gesundheitshalber spazierengehen mochte, ausgenommen in einem kleinen gepflasterten Hofe. Und tatsächlich wußten diejenigen, mit denen er zu tun hatte, sein bescheidenes und zurückhaltendes Wesen so sehr zu würdigen und waren auf seine Anwesenheit so eifersüchtig erpicht, daß sie eine Art freundschaftlicher Bürgschaft von zwei wohlhabenden Hausbesitzern im Betrage von je fünfzehnhundert Pfund verlangten, ehe sie ihm gestatten wollten, ihr gastliches Dach zu verlassen, wahrscheinlich weil sie bezweifelten, daß er sonst zurückkehren würde, wenn sie ihn einmal losgelassen hätten. Herr Braß, der gern auf diesen Scherz einging und ihn bereitwillig bis auf die Spitze trieb, suchte in seiner weiten Bekanntschaft ein paar Freunde, deren vereintes Barvermögen einen halben Penny weniger als fünfzehn Pence betrug, und bot sie als Bürgen an; denn ›Bürgschaft‹ lautete die joviale Losung von beiden Seiten. Es gab ein lustiges Wortgefecht, infolgedessen die genannten zwei Herren verworfen wurden, und so ließ sichs Herr Braß gefallen, dazubleiben, und er blieb auch da, bis ein Klub auserlesener Spaßvögel, die Große Jury genannt, die in die Posse eingeweiht waren, ihn vor zwölf andere Spaßvögel forderten und wegen Meineids und Betrugs anklagten. Diese ihrerseits erklärten ihn in gar witziger Laune für schuldig; ja, selbst das Volk ging auf den Spaß ein; denn als Herr Braß in einer Mietkutsche zu dem Gebäude fuhr, in dem sich diese Spaßvögel versammelten, begrüßte es ihn mit faulen Eiern, toten Katzen und tat, als wollte es ihn in Stücke reißen, was die Komik der Sache ungemein erhöhte und ihn einen noch größeren Geschmack an sich finden ließ.
    Um den launigen Faden noch weiter zu spinnen, brachte Herr Braß, um die Aufschiebung seines Urteils zu erlangen,
auf den Rat seines Anwaltes vor, daß er sich zur Selbstanklage habe

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