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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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gaben sich alle Mühe, ihn durch alle erdenklichen kleinen Kunstgriffe auf das, was kommen mußte, vorzubereiten, betonten mit vielen innigen Worten das glückliche Los, das ihr zugefallen war, und sagten ihm endlich die Wahrheit. In demselben Augenblick, als sie ihren Lippen entschlüpft war, brach er wie ein Erschlagener zwischen ihnen zusammen.
    Viele Stunden harrten sie vergeblich auf sein Erwachen; doch Kummer ist stark, und er kam endlich zu sich.
    Wenn es jemand gibt, der nie die Leere empfand, die dem Tode folgt, die traurige Verödung, das Gefühl der Verlassenheit, das sich auch des stärksten Geistes bemächtigt, wenn bei jedem Schritt etwas Geliebtes, etwas Vertrautes vermißt wird, die Verknüpfung lebloser und seelenloser Dinge mit dem Gegenstand der Erinnerung, durch die jeder Hausgott ein Monument wird und jedes Zimmer ein Grab, wenn es jemand gibt, der dies nicht kennt und an sich selbst nicht erfahren hat, so wird er sich kaum einen Begriff machen können, wie viele Tage hindurch der alte Mann die Zeit verträumte, vor Gram fast verging und überall umherstrich, als suche er etwas und könne keinen Trost finden.
    Die Reste von Denkkraft und Erinnerung, die ihm übriggeblieben, nahm ausschließlich sie in Anspruch. Er wußte nichts oder schien sich nicht darum zu kümmern, etwas von seinem Bruder zu wissen. Gegen jeden Liebesbeweis, gegen jede Aufmerksamkeit blieb er teilnahmslos. Wenn man mit ihm über diesen oder jenen Gegenstand sprach, den einen ausgenommen, so konnte er wohl eine Weile geduldig zuhören, dann aber entfernte er sich und fing wieder an zu suchen.
    Aber es war unmöglich, diesen einen Gegenstand, der sei
nen Geist und den der andern beschäftigte, zu berühren. Tot! Er konnte das Wort nicht hören oder ertragen. Die leiseste Andeutung bewirkte bei ihm einen Anfall gleich dem, den er damals hatte, als man ihm ihren Tod mitteilte. Niemand wußte, mit welcher Hoffnung er sich trug; aber daß er irgendeine Hoffnung nährte, sie wiederzufinden, eine schwache, schattenhafte Hoffnung, deren Erfüllung von einem Tag auf den andern geschoben wurde und die ihn täglich schwächer und trauriger machte, das war allen deutlich.
    Sie gedachten ihn von dem Schauplatz seines Kummers zu entfernen und den Versuch zu machen, ob ein Ortswechsel ihn nicht zu heben oder aufzuheitern vermochte. Sein Bruder holte sich bei Ärzten Rat, die wegen ihrer Geschicklichkeit in derartigen Fällen wohlbekannt waren, und sie kamen und beobachteten ihn. Einige von ihnen blieben, sprachen mit ihm, wenn er sprechen wollte, und behielten ihn im Auge, wenn er einsam und schweigend auf und ab ging. Brächte man ihn, wohin man wollte, meinten sie, er würde immer hierher zurückzukehren versuchen. Sein Geist könnte sich nicht von diesem Orte trennen. Wenn man ihn in strengen Gewahrsam nähme und ihn aufs sorgfältigste bewachte, so würde man ihn zwar als einen Gefangenen festhalten können, aber wenn er ein Mittel zur Flucht fände, dann würde er gewiß an diesen Ort zurückkehren oder unterwegs sterben.
    Der Knabe, dem er anfangs Folge geleistet, hatte jetzt keinen Einfluß mehr auf ihn. Bisweilen ließ er allerdings das Kind an seiner Seite gehen, oder er nahm wohl auch so viel Notiz von seiner Anwesenheit, daß er ihm die Hand reichte, sich niederbeugte, um seine Wangen zu küssen oder ihm sanft über das Haar zu fahren. Ein andermal aber ersuchte er wieder den Knaben, wenn auch nicht unfreundlich, sich zu entfernen, und konnte seine Nähe nicht ertragen. Doch, ob er allein war, ob
er seinen kleinen Freund zur Seite hatte oder ob er sich in Gesellschaft derjenigen befand, die keine Kosten, kein Opfer gescheut hätten, um ihm Trost und Seelenruhe zu erkaufen, wenn es möglich gewesen wäre, er blieb stets derselbe, liebte nichts mehr, kümmerte sich um nichts mehr auf der Welt – ein gebrochener Mann.
    Endlich fanden sie eines Tages, daß er früh aufgestanden war und, mit dem Reisesack auf dem Rücken, den Stab in seiner Hand, ihren Strohhut nebst einem kleinen Körbchen, mit Dingen angefüllt, die sie bei sich zu führen pflegte, sich entfernt hatte. Sie schickten sich bereits an, weit und breit Nachforschungen anzustellen, als ein erschreckter Schulknabe hereinkam, der ihn einen Augenblick zuvor in der Kirche hatte sitzen sehen, auf ihrem Grabe, sagte er.
    Sie eilten dahin, traten leise durch die Tür ein und erblickten ihn dort in der Haltung eines geduldig Wartenden. Ohne ihn zu stören, begnügten sie sich

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