Der Rat der Zehn
Hinweisen gefolgt und hatte Corbano auf Korsika aufgespürt, und zwar in einer kleinen Kneipe, verborgen in den korsischen Hügeln und mit Blick aufs Meer. Er stieg in einem nahe gelegenen Hotel ab und wartete auf eine günstige Gelegenheit, nahe genug dran zu sein, um seinen Job durchzuführen. Er hatte ausreichend Zeit, Verstärkung anzufordern, aber er wollte die Weiße Schlange für sich allein.
Der Timberwolf brauchte eineinhalb Tage, um herauszufinden, daß Corbano sich auf Korsika mit einer radikalen Gruppe der Roten Brigaden treffen sollte. Das bedeutete, ein großes Ding wurde geplant, und viele unschuldige Leute würden sterben, wenn es ausgeführt würde. Die Auftraggeber trafen sich regelmäßig in einer Hütte oben in den Bergen. Da der Timberwolf allein vorgehen würde, müßte er nachts zuschlagen.
Die Hütte mit Sprengsätzen zu verdrahten, war nicht möglich wegen der Gefahr aufzufallen. Deshalb entschloß er sich, nachts mit einem tragbaren Raketenwerfer die Hütte auszuradieren. Natürlich gab es Wachposten, vier an der Zahl, aber er legte sie sauber und ohne Lärm um.
Alles lief wie am Schnürchen. Der Timberwolf war seit Jahren hinter Corbano her und kostete den Augenblick des ersten Raketenabschusses aus. Er zog den Abzug durch, und die Rakete zischte aus dem Rohr. Wie sich herausstellte, war die zweite Rakete nicht mehr nötig, aber er feuerte sie trotzdem noch ab. Holzteile flogen überall herum, und die Flammen fraßen das auf, was von der Hütte noch übriggeblieben war.
Der Timberwolf ahnte sogleich, daß irgend etwas nicht stimmte. Er hatte keine Schreie gehört, keine brennenden Körper herausstürzen sehen. Sein Herz pochte, und unsicher trat er auf die Lichtung.
Die Geschosse waren sofort überall. Er warf sich auf den Boden und griff seine Uzi. Er ballerte in Richtung des gegnerischen Feuers, während er sich ständig bewegte. Er erkannte, daß man ihn verschaukelt hatte, ausgetrickst, in die Falle gelockt wie einen Anfänger. Alles war geplant gewesen. Corbano hatte ihm hier aufgelauert. Die Hütte hatte offenbar einen unterirdischen Tunnel, der irgendwo in den Wald zurückführte.
Der Timberwolf hatte niemals zuvor besser gekämpft. Er setzte alles ein, was er gelernt hatte, und noch einiges mehr, um aus diesem ungleichen Kampf, der nicht zu gewinnen war, lebend herauszukommen. Nach späteren Protokollen war er von zwanzig Leuten umringt, ob nun Rote Brigaden oder Corbanos Leute. Es war eine der unglaublichsten Schlachten dieser Art überhaupt und bestätigte erneut seine Legende. Aber die Legende erwähnte nicht, was nach dem Kampf geschah.
Verwundet und zerschlagen kehrte Waymann eine Stunde vor Morgengrauen ins Hotel zurück und brach zusammen. Einige Stunden später hörte er es an der Tür klopfen. Ein Hotelpage überbrachte ihm einen Brief, der gerade abgegeben worden war. Der Inhalt war simpel: Al-Forno-Schule in Rom. Heute morgen, neun Uhr. Fick dich selbst. Corbano.
Waymann sah auf die Uhr. Es war genau neun Uhr. Er stürzte zum Telefon, aber sein Anruf erreichte Rom Sekunden zu spät. Die Al-Forno-Schule war mit dem Klingeln zum Unterrichtsbeginn dem Erdboden gleichgemacht worden. Dreihundert Schüler, alle unter vierzehn Jahre alt, starben. Weitere fünfhundert waren verletzt.
Das alles war geschehen, weil er Corbano direkt in die Hände gearbeitet hatte. Er hatte etwas zu seiner persönlichen Angelegenheit gemacht, was nach Lage der Dinge nicht hätte vorkommen dürfen. Die Weiße Schlange hatte ihn von Anfang an benutzt. Weil der Timberwolf auf Corbano angesetzt war, wurden andere von Corbanos Verfolgung abgezogen. Corbano hatte dies ausgenutzt, um sein größtes Verbrechen zu inszenieren.
Also zog sich der Timberwolf zurück. Er stieg zwei Wochen später aus. Seine Sorglosigkeit hatte zuviel gekostet und hätte eigentlich auch sein Leben kosten müssen. Waymann war nicht froh, daß er noch lebte. Alles, was er einmal gewesen war, war vorbei. Er wußte, es war nicht nur dieser eine Vorfall, nicht nur Korsika. Das war nur der Höhepunkt all der Jahre, in denen er auf eigene Faust den Gegner bekämpfte. Er hatte immer darum gebetet, daß er spüren würde, wenn er zu einem Risiko werden würde, wobei körperliche Schwächen leicht hätten ausgeglichen werden können, geistige hingegen nicht so leicht. Es war für ihn eine persönliche Sache geworden, und das Persönliche war ein Zeichen von Schwäche, die andere Schwächen erzeugte, und das konnte er sich nicht
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