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Der Rattenfänger

Der Rattenfänger

Titel: Der Rattenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James McGee
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immer sich ein scheinbar potenzieller Kunde näherte, klopfte Billy mit dem Stock auf den Boden, schepperte mit seiner Blechbüchse und bettelte winselnd: »Kauft eine Kerze, Euer Ehren. Eine Kerze für einen Penny. Spendiert einem alten Soldaten eine Münze!« Oder so ähnliche Sprüche.
    Heute Abend war das Ergebnis eher mager. Sogar die sonst recht großzügigen Theaterbesucher hatten sich wenig spendabel gezeigt, sodass nur ein paar Münzen und eine nicht geringe Anzahl Knöpfe und Nägel in seinem Blechbecher lagen. Billy überlegte gerade, ob er sich auf den Weg machen und einen anderen Standort suchen sollte, als er Schritte näher kommen hörte. »Erübrigt einen Penny, Sir. Den Kindern zuliebe. Kauft eine Ker …«
    »Erspar mir deine Bettelsprüche, Billy«, sagte eine Stimme barsch. »Die kenne ich auswendig.«
    Billy stellte sich sofort taub, neigte den Kopf zur Seite, klapperte erwartungsvoll mit seinem Blechbecher und greinte: »Was habt Ihr gesagt? Erübrigt einen Pen …«
    Billy blieb das Wort im Hals stecken, als er den eisernen Griff um sein Handgelenk spürte und die Stimme ihm ins Ohr flüsterte: »Bist du schwerhörig, Billy? Pass auf, wenn ich mit dir rede.«
    Der Druck um Billys Handgelenk verstärkte sich derart, dass er kurz befürchtete, seine Knochen würden brechen.
    »Ich will, dass du für mich eine Nachricht überbringst. Für Jago. Sag ihm, der Captain möchte ihn treffen.«
    »Jago?«, krächzte Billy. »Ich kenne keinen Jago. Ich …«
    Wieder durchzuckte ein stechender Schmerz Billys Arm.
    »Keine Widerrede, Billy! Leg dich nicht mit mir an. Tu einfach, was ich dir sage. Überbringe die Nachricht. Hast du das kapiert?«
    Als Billy heftig nickte, lockerte sich der Griff um sein Handgelenk, und der Schmerz in seinem Arm verebbte zu einem dumpfen Pochen.
    »Gut. Das war doch gar nicht so schwierig, oder?«
    Dann fiel klappernd eine Münze in den Blechbecher, und die Schritte entfernten sich wieder.
    Der Blinde Billy wartete volle zwanzig Sekunden, ehe er den Rand seiner Augenbinde hochklappte und ängstlich die Straße rauf und runter spähte. Trotz der vielen Passanten schien niemand bemerkt zu haben, dass der Bettler bedroht worden war, oder vermeintliche Zeugen hatten es vorgezogen, wegzuschauen. Billy sah in den Becher, kippte den Inhalt in seine Handfläche, fischte die Nägel, Knöpfe und die zerbrochene Gürtelschnalle heraus und steckte die Münzen in den Beutel unter seiner zerschlissenen Weste. Dann nahm er das Pappschild ab und schlurfte für einen Blinden erstaunlich schnellfüßig die Straße entlang.
    Hawkwood saß an einem Fenstertisch im Black Lion und beobachtete mit grimmigem Lächeln, wie der Kerzenhändler in der Menge verschwand. Jetzt musste er nur noch warten.

4
    Auf den Straßen von Whitehall machten die klappernden Hufe und polternden Räder einen ziemlichen Lärm auf dem Pflaster, als Richter Read vor dem imposanten Eingang zum Sitz der Admiralität aus der Kutsche stieg.
    »Warte auf mich, Caleb«, teilte er dem Mann auf dem Bock mit. »Es dürfte nicht allzu lange dauern.«
    »Wie schön, Euer Ehren«, erwiderte der Kutscher und tippte sich an den Hut.
    Der Oberste Richter schwang seinen Spazierstock, durchschritt das Tor und überquerte den Vorplatz. Erst als die Gestalt im schwarzen Mantel außer Sicht war, stieg der Kutscher vom Bock, holte den Futtersack aus dem Kasten und hängte ihn der Stute um den Hals. Dann sprang er wieder auf den Bock, nahm seine Pfeife aus der Tasche und stopfte sie gemächlich. Er richtete sich auf eine längere Wartezeit ein, weil der Zeitbegriff des Obersten Richters in London selten mit dem anderer Menschen übereinstimmte. Doch das Warten lohnte sich allemal, denn der Richter gab großzügige Trinkgelder.
    Read stieg forschen Schrittes zwischen den hohen weißen Säulen die Treppe empor und betrat das Hauptgebäude. Trotz der frühen Stunde herrschte in der Eingangshalle bereits reges Treiben. Männer in blauen Marineumformen warteten auf Korridoren und Treppen in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit der Adjutanten der Admiralität zu erregen, um ihr Anliegen vortragen zu können.
    James Read jedoch wurde sofort von einem schwermütig aussehenden Leutnant unter den neugierigen Blicken der Wartenden zum Sitzungssaal geleitet, wo er vom Adjutanten des Admiralstabs empfangen wurde. Erst dort brach der Leutnant sein Schweigen, salutierte, wünschte dem Obersten Richter einen guten Tag und entfernte sich rasch.
    Beim Betreten des

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