Der Rattenfänger
beginnen zu können.
Die Kosten für die Beerdigung hatte sozusagen als letzte Ehre für den verdienten Runner das Amt übernommen. So hatte Henry Warlock im selben Grab wie seine Frau und sein Sohn bestattet werden können, sonst wäre er in einem Armengrab verscharrt worden. Hawkwood wusste, dass James Read eine derartige Demütigung für einen seiner Männer nie zugelassen hätte. Der Oberste Richter kümmerte sich um seine Untergebenen.
Da niemand eine Grabrede hielt, faltete der Pfarrer die Hände und nickte den beiden Totengräbern zu.
Während James Read, sein Sekretär und Runner Lightfoot Warlocks Schwester ihr Beileid aussprachen, sah Hawkwood zu, wie die Totengräber Erde auf den Sarg warfen. Der Oberste Richter hatte dafür gesorgt, dass ein tiefes Loch gegraben wurde. Leichenräuber versorgten die medizinische Fakultät zwar hauptsächlich im Winter mit Toten, aber auch zu anderen Jahreszeiten waren Gräber nicht vor Leichendieben sicher. Dann stand Hawkwood vor dem Grabhügel. Auf dem schlichten Grabstein waren die Namen von Warlocks Frau und Kind eingemeißelt. Sein Name fehlte noch.
Was für ein karger Lohn, wenn man fünfzehn Jahre Dienst getan hat, dachte Hawkwood bedrückt.
Er spürte auf einmal, dass er beobachtet wurde. Er sah sich um und entdeckte Jenny, das Mädchen, das ihn zu Jago geführt hatte, hinter einem der Grabsteine. Als er sie zu sich winkte, schlich sich Jenny vorsichtig heran.
»Ich soll dir das geben …«, sagte sie und drückte ihm einen Zettel in die Hand.
Hawkwood faltete ihn auseinander und glättete ihn. Die Nachricht war kurz: Rats Nest. Zehn Uhr. J.
14
Die mit Messing beschlagene, zerschrammte alte Seekiste trug die Spuren vieler Kriege. Früher hatte sie einem Major gehört, der bei dem Rückzug nach Coruña gefallen war. Hawkwood hatte sie ersteigert, denn der Erlös der Versteigerung war der mittellosen Witwe des Gefallenen zugute gekommen.
Die Seekiste war mit Kriegserinnerungen voll gepackt.
Hawkwood klappte den Deckel auf. Ganz oben lag ein gekrümmtes, einschneidiges Schwert, das in einer Scheide steckte, eine effiziente Waffe. Die scharfe Klinge war dazu geeignet, Knochen und Muskeln zu durchtrennen. Hawkwood nahm es sehr behutsam heraus und legte es zur Seite.
Darunter lag ein sorgfältig gefalteter dunkelgrüner Waffenrock mit schwarzen Tressen, der oft geflickt worden war.
Neben dem Waffenrock befand sich ein ebenfalls gefaltetes Paar grauer Kavallerie-Kniehosen, das an den Innenseiten mit Leder verstärkt war. Auch sie zeigten deutliche Spuren der Abnutzung. Die Farbe der einst karmesinroten Schärpe war verblasst und der Stoff zerschlissen.
Der schwere und warme Offiziersmantel darunter hatte Hawkwood während der strengen Winter in Spanien vor Wind und Wetter geschützt. Die Nächte waren manchmal so kalt gewesen, dass der Urin eines Mannes gefroren war, noch ehe er den Boden berührte.
Jetzt nahm Hawkwood ein langes, graues, an beiden Enden verschnürtes Wachstuch heraus. Er zögerte kurz, ehe er die Bänder aufknotete.
Der Gewehrlauf glänzte hell im Licht der Kerze. Auf der Messingplatte am polierten Schaft war eingraviert: Ezekiel Baker & Son, Waffenschmied Seiner Majestät, London.
Viele Erinnerungen wurden in Hawkwood wach, als er das Gewehr wieder einwickelte und auf sein Bett legte. Mit diesem Gewehr hatte er den spanischen General und Gouverneur von Montevideo erschossen. Es hatte ihn nach Portugal und Spanien begleitet und ihm stets zuverlässig gedient. Wie einen kostbaren Schatz hatte er es gehütet und gepflegt und es sogar nachts an seiner Seite gehabt. Es war ihm näher gestanden als irgendeine Frau.
Die Seekiste enthielt noch mehr Kleidungsstücke und Ausrüstungsgegenstände: Hemden, Hüte, Gürtel und Stiefel; ein Etui mit Duellpistolen und Formen für das Gießen von Kugeln; Pulverbeutel, ein Pulverhorn, ein Bajonett, ein Fernrohr aus Messing – alles Zeugnisse eines langen Soldatenlebens.
Hawkwood nahm das Gewünschte heraus und legte die übrigen Dinge – einschließlich Gewehr und Schwert – wieder in seine Seekiste zurück. Dann zog er sich an.
Das Rats Nest war eine Spelunke in Shadwell, die Hawkwood keinesfalls als Treffpunkt – nicht einmal tagsüber, geschweige denn nachts – gewählt hätte. Doch Jago muss Gründe für seine Wahl gehabt haben, dachte er. Um nicht wie im Noah’s Ark durch seine Kleidung aufzufallen, hatte Hawkwood beschlossen, sich zur Umgebung passend auszustaffieren.
Der Mann, den er
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