Der Rattenfänger
gefunden.
Hawkwood näherte sich dem Schiff mit äußerster Vorsicht. Irgendwo im Dunkeln hörte er ein Wimmern – ob Tier oder Mensch, konnte er nicht ausmachen.
In der feuchten Luft hing ein widerwärtiger Geruch, der nicht vom Fluss kam, sondern durch die Planken des Rumpfs drang. Je näher Hawkwood kam, umso penetranter wurde der Gestank. Als er über die Gangway an Deck ging, traf ihn dieser pestilenzartige Geruch mit solcher Wucht, dass es ihm den Atem raubte – der Geruch menschlichen Elends.
Überall an Deck standen provisorische, aus zerbrochenen Spieren, Leinenfetzen, Takelage und Webeleinen zusammengezurrte Unterkünfte: ein Gewirr aus Zelten, Hütten und Schuppen aus Treibholz, noch schäbiger als die Lager der umherziehenden Kesselflicker.
Der Gitterrost am Bug war entfernt worden, und an der offen stehenden Luke führte eine steile Leiter nach unten. Daneben hockte jemand, im schwachen Licht einer Petroleumfunzel kaum zu erkennen. Als sich Hawkwood der Gestalt näherte, stellte er fest, dass es sich um einen alten, ausgemergelten Chinesen handelte, der ihm seine klauenartige Hand entgegenstreckte. Hawkwood warf ihm eine Münze zu und stieg in das Loch hinunter.
Mit dem Leben auf See war Hawkwood bestens vertraut. Seine Reise über den Atlantik nach Buenos Aires zählte jedoch nicht zu seinen angenehmsten Erfahrungen. Das Leben unter Deck war hart gewesen. Voller Abscheu dachte er an die dicht an dicht liegenden Körper, an die Übelkeit und das widerliche Essen. Die Rückreise nach England war noch schlimmer gewesen. Heftige Stürme hatten das Schiff wie einen Korken auf dem Wasser tanzen lassen. Während der Überfahrt hatte es Momente gegeben, wo er – sich die Seele aus dem Leib
kotzend – über der Lee-Reling gehangen und sich den Tod herbeigewünscht hatte. Es waren höllische Wochen gewesen, aber erträglich im Vergleich zu den Zuständen, die hier herrschten.
Der Gestank war überwältigend, eine Mischung aus Exkrementen und Verwesung. Ein paar vereinzelte Petroleumlampen und Kerzen verbreiteten trübes Licht. Sollte es so etwas wie einen Höllenschlund geben, dachte Hawkwood, dann ist es dieses Rattenloch.
Von der ehemaligen Messe waren nur noch ein paar Bänke und Tische übrig, an denen ein paar armselige Lumpengestalten hockten. Ratten huschten quietschend über Boden und Tische. Und es stank.
Hawkwood setzte sich auf das äußerste Ende einer Bank, fühlte, wie etwas über seinen Stiefel lief, und trat danach.
»Willst ’nen Grog, Kumpel?«
Hawkwood blickte auf. Der mürrischen Miene des Mannes nach zu urteilen, war es ihm sowieso egal, ob der Neuankömmling etwas bestellte oder nicht. Hawkwood nickte. Er würde jedoch in diesem Schweinestall den Becher nicht einmal anrühren. Der Mann knallte einen schmutzigen Blechbecher auf den Tisch und goss eine scharf riechende Flüssigkeit ein. Hawkwood wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht und legte eine Münze auf den Tisch. Jetzt konnte er nur noch warten.
Was, um Himmels willen, hat Jago dazu veranlasst, einen derart abstoßenden Ort für ihr Treffen zu wählen, fragte sich Hawkwood wieder.
Außerhalb von Hawkwoods Blickfeld, nahe am Backbord-Schott, winkte jemand mit gekrümmtem Finger den Schankmann zu sich.
»Also?«
Der Schankmann nickte verdrießlich. »Er ist’s.«
»Bist du dir sicher?«
»Klar. Er ist zwar schluderig gekleidet, aber ich habe die Narbe unter seinem Auge gesehen. Das ist ein knallharter Bastard, wenn du meine Meinung hören willst.«
Eine Münze fiel auf den Tisch. »Die will aber niemand hören, Cooter. Verschwinde!«
Hawkwood starrte missmutig in seinen Becher und fragte sich, ob ihm ein Schluck schaden würde, als er jemanden neben sich spürte.
»Wartest du auf Jago?«, wisperte jemand neben seinem Ellbogen. Der Gestalt nach war es ein kleiner Junge, die zerfurchte Stirn jedoch war hoch und breit, die Nase flach, die Augen unter den dichten Brauen hingegen waren groß und weit auseinander stehend. Der Zwerg trug einen Gehrock aus Brokat über einem schmutzigen Rüschenhemd und gestreifte Hosen mit einem breiten Ledergürtel. Seine Füße steckten in Schaftstiefeln. Den Kopf krönte ein zu einem Turban geschlungenes buntes Halstuch. In diesem Kostüm hätte er gut an Deck eines karibischen Piratenschiffs gepasst.
Hawkwood musterte den Zwerg misstrauisch. »Wer will das wissen?«
»Ich heiße Wiesel.«
Hawkwood fragte zögernd: »Wo ist Jago?« Am linken Ohr des kleinen Mannes baumelte
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