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Der Rattenfänger

Der Rattenfänger

Titel: Der Rattenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James McGee
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sogar eine Kreole aus Gold.
    »Er wurde aufgehalten, Geschäfte, du verstehst schon. Jago hat mich geschickt. Ich soll dich abholen, damit du dich in der Dunkelheit nicht verirrst. Kommst du jetzt mit, oder was?«
    Der Zwerg watschelte o-beinig davon. Hawkwood erhob sich fluchend.
    In der normalen Welt wäre Wiesel wegen seines Kleinwuchses verhöhnt und bedroht worden. Doch hier, in der Enge zwischen den Decks, war er in seinem Element. Im Reich der Blinden ist der Einäugige König. Während sein Führer zielsicher dahintrottete, konnte Hawkwood ihm nur mühsam folgen. Immer wieder musste er sich ducken, um vorstehenden Balken auszuweichen.
    Je tiefer die beiden in den Schiffsbauch eindrangen, umso dunkler wurde es. Und sie waren nicht allein. Es war unmöglich, die Anzahl der Personen an Bord auch nur annähernd schätzen zu wollen. An Bord eines Handels-, Passagier- oder Kriegsschiffs hingen die Hängematten ordentlich aufgereiht nebeneinander, und die Mannschaft schlief Kopf an Fuß, um Platz zu sparen. Aber im Rats Nest existierten keine Regeln. Überall lagen Körper unter Decken. Von Deckbalken hingen Schlafsäcke. Viele Hängematten waren doppelt belegt. Die wenigen Kojen glichen sargähnlichen Nischen. Hawkwood kam sich vor wie in einer Katakombe. Wenn das Gerücht stimmt, dass dieses Schiff früher Sklaven transportiert hat, dachte er, ist es den Sklaven damals besser ergangen als den Bewohnern heute.
    Dann stieg Hawkwood plötzlich ein verlockender, süßlicher Geruch in die Nase. Und als er in einem der voll gepferchten Kabuffs ein schwaches Glühen und die Pfeifen sah, wusste er sofort Bescheid.
    Er hatte Opiumhöhlen in den Kellern von St. Giles und den elenden Matratzenlagern in Wapping gesehen. Mit den Orientalen – Chinesen und ostindischen Matrosen – hatte sich dieses Laster auch in Europa ausgebreitet. Diese Menschen, von der Welt vergessen, fristeten ein derart kümmerliches Dasein, dass vielen nur der Ausweg ins Verbrechen oder in die Bettelei blieb. Andere wiederum suchten Zuflucht in einer weniger anstrengenden Lebensform.
    Schiffe der elisabethanischen Levante-Gesellschaft hatten dieses schwarze Zeug als Erste ins Land gebracht. Damals war dieser Handel von türkischen Kaufleuten kontrolliert worden. Jetzt transportierte die Ostindische Gesellschaft das Opium – ein florierendes Geschäft – nach England. Überwacht und im Auftrag legitimer Unternehmen wie der Apotheker-Vereinigung wickelten Makler ihre Geschäfte in der Mincing Lane ab. Es gab sogar Auktionen in Garraway’s Coffee House, in der Nähe der Londoner Börse. In Apotheken konnte man das Opium, getarnt als Kendal Black Drops oder Laudanum, kaufen. In den anrüchigeren Vierteln im East End wurde es in Pfeifen geraucht. Die Opiumhöhlen in Stepney, Poplar, Shadwell und am Limehouse Causeway gehörten Chinesen, die auch billige Pensionen führten. Mit Opium wurde ein schwungvoller Handel getrieben.
    Hawkwood fielen die ausgemergelten Körper und ausdruckslosen Augen der apathisch daliegenden Opiumraucher auf. Ein Süchtiger steckte gerade ein Kügelchen Opium auf eine Nadelspitze, hielt sie vorsichtig über die Kerzenflamme und steckte dann die klebrige Masse in ein Loch in dem eiförmigen Pfeifenkopf. Dann zog der Raucher behutsam an der Pfeife und verursachte dabei ein leise gurgelndes Geräusch. Hawkwood war völlig verblüfft von dem Gesichtsausdruck des Mannes. Er sah nicht etwa Hoffnungslosigkeit, sondern eine Heiterkeit, die in dieser stinkenden Umgebung völlig fehl am Platz wirkte.
    »Kümmere dich nicht um die«, lachte der Zwerg. Sein Lachen klang wie das Gurgeln der Opiumpfeifen.
    Ein paar Schritte weiter blieb der kleine Mann vor einer schweren Holztür stehen. »Da sind wir. Das ist die Kajüte des Kapitäns«, sagte Wiesel augenzwinkernd. »Mal sehen, ob er zu Hause ist.«
    Wiesel öffnete die Tür, und Hawkwood folgte ihm in die Kajüte.
    Sie war niedrig und hatte große Bullaugen im Heck. Vom Deckbalken hing eine Laterne, die die spärlichen Möbel beleuchtete: einen Tisch, ein paar Stühle und eine ziemlich lädierte Kommode. In der Koje lagen ein paar schmuddelige Decken auf der fleckigen Matratze.
    »Wird aber auch Zeit, verdammt noch mal! Wir hatten dich schon aufgegeben!«, zischte jemand hinter Hawkwoods Rücken. Aus dem Halbschatten neben einem der Bullaugen trat eine Gestalt: fein geschnittene, gut erkennbare Gesichtszüge, kurzes graues Haar.
    Hawkwood drehte sich intuitiv um und griff gleichzeitig

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