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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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meinem Körper, rauhe Stimmen schrien mir ins Ohr. Der Gestank der Feuer wurde hier unten von den Ausdünstungen der feiernden Masse vertrieben. Ich blickte nach oben und bemerkte, daß die zerfasernden Ränder der schwarzen Rauchwolke selbst von hier aus zu erkennen waren. Trotzdem schenkte ihnen keiner Beachtung.
    Ich näherte mich der Bühne und entdeckte ohne großes Erstaunen, daß sie von mehreren Bewaffneten bewacht wurde. Und dann erspähte ich Althea. Sie saß gleich neben dem Herzog, und ich fragte mich, wie ich sie hatte übersehen können. Ihr schwarzes, schimmerndes Haar war wie ein Stück sternenklarer Nacht, das sich zwischen den Menschen verfangen hatte, und ihr schmales, dunkles Gesicht verriet auf anmutigste Weise ihre arabische Herkunft. Sie trug ein rotes, eng geschnürtes Kleid, das mit fremdartigen Zeichen bestickt war. Als ich sie einst gefragt hatte, was sie bedeuteten, da hatte sie nur gelacht und geflüstert: »Nichts. Aber man erwartet derlei Dinge von mir.«
    Dabei war ihr Rang als Astrologin nicht unumstritten. Kirche und Hofgeistliche intrigierten Tag und Nacht gegen sie, und manch einem wäre es lieb gewesen, sie als Hexe brennen zu sehen. Doch Heinrich war ihr vom ersten Tag an verfallen und hielt seine schützende Hand über sie. Natürlich hatte er nie erfahren, daß sie ihn mit einem gemeinen Ritter betrog.
    Manches Mal hatte ich mich gewundert, warum sie gerade mich erwählt hatte, ihr in den Nächten Gesellschaft zu leisten. Ich hatte nie gewagt, die Frage laut auszusprechen; ich hatte Angst, dadurch den Bann zu brechen und sie für immer zu verlieren.
    Nun saß sie da, jene, die alles entscheiden konnte, in deren Hand es lag, nicht nur die Wodan-Jünger, sondern auch mich selbst zu retten. Ich war ihr nahe genug, um sie rufen zu können, und doch war das in der Menge unmöglich.
    Während ich noch überlegte, wie ich an den Wachen vorbeikommen und auf die Tribüne gelangen konnte, geschah das Wunderbare.
    Althea wandte sich plötzlich um, löste den Blick von der Bühne – und sah mir direkt in die Augen. Dabei huschte ein Lächeln über ihre schönen Züge. Es war, als hätte sie meine Anwesenheit gespürt.
    Vielleicht war die Angst der Pfaffen vor ihrer Macht nicht unbegründet.
    Sie beugte sich zum Herzog hinüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Heinrich trug farbenfrohe Kleidung aus edlen Stoffen, einen purpurnen Überwurf und einen schwarzen Hut mit langer, schillernder Feder. Er starrte wie gebannt auf die Bühne, wo man von Wetterau soeben Schlingen um Arme, Beine und Oberkörper legte, um ihn damit ans Kreuz zu binden. Der Herzog nickte Althea abwesend zu, und die Astrologin erhob sich und kam über die Tribüne auf mich zu. Sie ging mit gemessenen, huldvollen Schritten – wohl, um sich vor den Höflingen Heinrichs keine Blöße zu geben –, schenkte aber den bewundernden Blicken, die ihren schlanken Körper trafen, keine Beachtung. Ich wußte, daß ihr die Doppelzüngigkeit der Edelmänner zuwider war. In Gesellschaft beschimpfte man sie hinterrücks als Hexe, insgeheim aber begehrte ein jeder ihr vollendetes Fleisch.
    Althea gab mir einen Wink, ihr in einigem Abstand zu folgen. Sie trat zwischen den Bewaffneten hindurch, ging entlang der Rathausmauer zum nunmehr unbewachten Eingang und verschwand im Inneren. Ich drängte mich durch die hinteren Reihen der johlenden Zuschauer und lief mit schnellem Schritt hinter ihr her.
    Im Rathaus erklang der Lärm vom Marktplatz nur gedämpft, fast unwirklich durch die festen Mauern. Ich gelangte in einen Vorraum, von dem links eine offene Tür abzweigte. Durch sie trat ich in eine Kammer, die offenbar zum Empfang minderer Gäste diente. Die groben Steinmauern waren weitgehend schmucklos, bis auf einen geknüpften Wandbehang, der das Wappen des Bischofs zeigte. Althea stand am einzigen Fenster, blickte hinaus auf die Mysterienbühne und hatte mir den Rücken zugewandt.
    »Schließ die Tür«, sagte sie leise.
    Ich tat, was sie verlangte, und eilte auf sie zu, um sie in die Arme zu nehmen. Sie ließ es geschehen, strich gar flüchtig mit ihren zarten Händen über meinen Rücken. Dann aber löste sie sich von mir. Ihr Gesicht verriet Anspannung und seelischen Schmerz. Bebend wich sie einen Schritt zurück.
    Es blieb keine Zeit, über ihr Verhalten nachzudenken. Ich trat an ihr vorbei ans Fenster und deutete auf den schwarzen Rauch am Himmel. » Du weißt, was das ist?« fragte ich.
    Sie sah nicht einmal hin. »Heinrich gab

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