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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Befehl, die Ketzer zu verbrennen.«
    »Aber sie sind unschuldig«, beharrte ich.
    Sie hob eine Augenbraue. »Sie sind keine Ketzer?«
    Ich seufzte, schüttelte den Kopf und lief aufgeregt einige Schritte auf und ab. »Ja, sie sind Heiden. Und sie verehren Wodan und vielleicht auch allerlei andere Götter. Aber mit dem Verschwinden der Kinder haben sie nichts zu tun.«
    Altheas dunkle Augen blitzten. »Wenn sie heidnische Götter verehren, haben sie den Tod verdient – zumindest in den Augen der Kirche und des Herzogs.«
    »Aber begreifst du denn nicht? Von Wetterau behauptet, sie hätten die Hamelner Kinder ermordet. Deshalb werden diese Menschen verbrannt. Aber sie waren es nicht.«
    »Robert«, sagte sie sanft und sah mich eindringlich an, »nichts und niemand kann diese Männer und Frauen noch retten. Die Feuer brennen. Und ganz gleich, was sie getan haben oder auch nicht, sie sind Ketzer.« Sie deutete auf den Rauch. »Tote Ketzer.«
    Ich wollte etwas erwidern, doch da begriff ich plötzlich und verstummte. Althea konnte mir nicht helfen – und sie wollte es nicht. Welche Gründe sie auch immer für ihren Entschluß haben mochte, sie wogen schwerer als all meine Überredungskünste. Liutbirg und ihre Leute waren verloren.
    »Da oben verbrennen Kinder«, flüsterte ich schwach, und die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Haltsuchend griff ich nach der Fensterkante.
    »Kinder«, wiederholte Althea gedankenverloren. Und nach einer Pause fügte sie hinzu: »Weißt du, was mit den Hamelner Kindern geschah?«
    Ich nickte und erzählte ihr alles, was ich wußte. Die Worte sprudelten förmlich aus meinem Mund hervor. Mir war fast, als spräche sie ein anderer. Ich hatte erneut versagt. Liutbirg hatte von Anfang an auf den falschen Mann gesetzt. Ich hatte ihr Vertrauen enttäuscht, denn niemand schenkte meinen Worten glauben. Niemand rührte auch nur einen Finger, um die Verbrennung der Heiden aufzuhalten. Ich hätte es wissen müssen.
    Ich berichtete Althea jede Einzelheit. Allein zwei Dinge ließ ich aus: Ich erwähnte Schwester Julia mit keinem Wort. Und ich verheimlichte ihr, daß ich es selbst gewesen sein sollte, der die kranken Kinder erdolcht hatte.
    Um so erstaunter, ja entsetzter war ich, als sie schließlich sagte: »Dann hast du es also wieder getan.«
    Die Welt schien zu erbeben. Schuld krampfte mir den Magen zusammen. Ich spürte, wie das Blut aus meinen Gliedern wich. Eiskalt und aschfahl rutschte ich mit dem Rücken an der Mauer zu Boden. Dort, in der Ecke, blieb ich mit angewinkelten Knien sitzen, das Gesicht zwischen den Armen verborgen. Lange Zeit kauerte ich so da, und ebenso lange sprach keiner ein Wort. Schließlich aber hob ich den Kopf, unendlich schwer, unsagbar langsam, und blickte Althea an, mit aller Festigkeit, die ich noch aufbringen konnte.
    »Auch du glaubst, daß ich ein Mörder bin?«
    Sie ging vor mir in die Knie und ergriff meine zitternde Hand. Ihre Berührung fühlte sich angenehm an, doch die Wärme drang mir nicht bis ins Herz.
    »Ich muß dir etwas gestehen«, sagte sie leise. Sanftmut lag in ihrer Stimme, und in ihren Augen entdeckte ich einen Abglanz jener Regung, die ich dort in so mancher Nacht gesehen hatte. Es war keine Liebe, und doch verhieß ihr Blick eine Zuneigung, die tiefer ging als einfache Freundschaft.
    »Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem ich dir den Auftrag des Herzogs überbrachte?« fragte sie. Draußen johlte die Menge, doch es klang seltsam fern und nebensächlich.
    Ich mühte mich zu einem Nicken. »Du kamst zum ersten Mal bei Tag in meine Kammer. Es war das erste Mal, daß wir nicht im Verborgenen sprachen.« In der Tat war dies ein besonderer Augenblick gewesen: Unser erstes Treffen, das mit dem Segen Heinrichs stattfand – obgleich es freilich anderer Natur war als all die vorherigen.
    »Ich überbrachte dir den Auftrag, nach Hameln zu reiten«, erinnerte sich Althea. »Ich sagte dir, Heinrich habe von den Gerüchten gehört und wolle erfahren, was es damit auf sich habe. Und ich übergab dir das Schreiben, das du seinem Statthalter aushändigen solltest.«
    Ich nickte erneut, wenngleich ich nicht ahnte, auf was sie hinauswollte.
    »Hat Heinrich je selbst mit dir über diese Angelegenheit gesprochen?« fragte sie, gab sich die Antwort aber gleich darauf selbst: »Nein, natürlich nicht.«
    »Ich stand ihm nur ein einziges Mal gegenüber, als er mich zum Ritter schlug«, sagte ich. »Ich bin zu jung, um in seiner persönlichen Gunst zu

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