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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Teufel?«
    »Das muß ein Priester entscheiden.«
    »Du willst mich ausliefern?«
    Sie stand auf. Es sah aus, als fiele ihr jede Bewegung unendlich schwer. »Das habe ich bereits«, sagte sie leise, trat an die Tür und klopfte.
    Sofort wurde geöffnet, und eine Handvoll Bewaffneter trat ein. »Nehmt ihn fest«, wisperte Althea traurig, dann drehte sie sich mit gesenktem Kopf um und ging langsam davon.
    Ich rief ihren Namen. Einmal, zweimal.
    Vergeblich. Sie verschwand wortlos im Vorraum und kam nicht mehr wieder.
    Ich leistete keinen Widerstand, als die Männer mich in Gewahrsam nahmen und schweigend aus der Kammer führten.
      
      
      

    KAPITEL 10
    Gunthar von Wetterau hing am Kreuz, Handgelenke, Oberkörper und Beine ans Holz gezurrt. Ich sah ihn, als sie mich hinaus ins Freie brachten. Der Gesandte aus Rom stand zu seinen Füßen, eingehüllt in weite, schwarze Gewänder, auf dem Kopf einen breitkrempigen Hut. Er hielt einen langen Stab in der Hand, dessen Ende in einem Kreuz auslief. Damit wies er in von Wetteraus Richtung und sprach lateinische Worte. Die Zuschauer waren ehrfürchtig verstummt. Alles starrte wie gebannt zur Bühne. Keiner wollte auch nur einen Augenblick der langersehnten Besiegelung des Paktes zwischen Papst und Probst verpassen. Es war, als verspräche der Gesandte nicht nur dem Probst, sondern ihnen allen das Himmelreich. Gerne hätte ich von Wetterau ins Gesicht geblickt, jetzt, im Augenblick seines größten Triumphs, doch die Bühne war zu weit entfernt, um seine Züge zu erkennen. Aber ich mußte ihn nicht sehen. Ich wußte auch so, was er empfand.
    Niemand achtete darauf, als mich die Soldaten des Herzogs vom Markt aus Richtung Osttor führten. Althea war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich war sie zurück zu Heinrich auf die Tribüne gestiegen. Aus den Wäldern jenseits des Flusses quoll immer noch Rauch, doch der Gestank nach verbranntem Fleisch drang nicht mehr bis zur Stadt. Die Feuer würden noch bis zum Abend brennen, dann würde man den Friedhof dem Erdboden gleichmachen. Mit den Ketzern mußte auch die Erinnerung an sie sterben.
    Sie brachten mich ins herzogliche Lager vor der Stadt. Rund dreißig große Zelte, die meisten rund und geräumig, waren hier aufgeschlagen worden. Wimpel und Planen raschelten leise. Ein paar Bewaffnete hielten Wache. Ansonsten war alles wie ausgestorben. Alle wohnten noch dem Spiel auf dem Marktplatz bei.
    Ich wurde in ein kleines Zelt am Südrand des Lagers gestoßen. Offenbar sollte ich hier ausharren, bis sich der Herzog oder einer seiner Befehlshaber meiner widmen mochte. Vor dem Eingang bezogen drei Wachtposten Stellung, die übrigen gingen davon.
    Mir war längst gleichgültig, was mit mir geschah. Sollten sie mich einsperren, foltern oder hinrichten.
    Damals dachte ich daran, meinem Leben ein Ende zu setzen. Daß ich es nicht tat, lag weniger an meinem Willen, als an mangelnder Gelegenheit. Das Zelt war vollkommen leer. Es gab nichts, das mir bei meinem Vorhaben hätte nützlich sein können.
    Also wartete ich ab.
    Dachte nach.
    Und schlief ein.
    ***
    Das schwache Licht, das tagsüber durch die Zeltplanen schimmerte, ließ schließlich nach, und der Abend kam über das Land. Draußen herrschte reges Treiben. Der Herzog ließ das Lager abbrechen. Offenbar wollte er noch in dieser Nacht den Heimweg antreten, um möglichst schnell zurück bei Hof zu sein. Heinrich war ein Mann, der ungern auf die Geborgenheit seiner Gemächer verzichtete. Eine Nacht im Zelt bereitete ihm Knochenschmerzen. Kein Wunder, daß es ihn nun zum Aufbruch drängte. Eine Verzögerung würde er nicht dulden.
    Für mich mochte das bedeuten, daß man sich meiner erst in Braunschweig annehmen wollte. Lieber wäre mir gewesen, man hätte meinem Dasein auf Erden gleich hier ein Ende bereitet, als mich in Ketten nach Hause zu schleppen.
    Nach Hause. War nicht Hameln meine Heimat? Nach all den Ereignissen mehr denn je?
    Ich ergab mich ganz jener Wirrnis, die all mein Denken beherrschte, und wartete, daß irgendwer kommen und zu mir sprechen würde. Insgeheim hoffte ich, daß Althea erscheinen und mir verraten würde, daß dies nur Teil eines ausgeklügelten Fluchtplans war, doch zugleich schalt ich mich einen Narren. Warum fliehen? Wohin? Ich hatte jede Strafe verdient, mit der man mich bedachte.
    Irgendwann, ich dämmerte bereits in neuerlichem Halbschlaf dahin, wurde die Plane am Eingang zurückgeschlagen, und eine Gestalt trat ein. Es war dunkel im Zelt, ich sah nicht mehr

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