Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
auch nur schwerlich behaglicher. Die verschiedenen Lichtquellen ließen das Schattentier an der Höhlendecke tanzen. Sein Zucken verstörte mich mehr, als ich mir eingestehen mochte.
    Widerwillig setzte ich mich auf einen der Hocker und blickte mich um.
    Es dauerte nicht lange, bis ich den Bronzekopf entdeckte. Der seltsame Gefährte des Albertus von Bollstädt stand auf einem der Regale, inmitten von Schalen, niedergebrannten Kerzen und einigen Bündeln mit getrockneten Kräutern. Wie üblich schien er mich mit seinen goldfarbenen Augen anzustarren.
    Ich wollte aufspringen und zu ihm hinübereilen, als Hollbeck sagte: »Bleibt sitzen!« Seine Stimme klang nicht schneidend, und doch waren die Worte ein unmißverständlicher Befehl.
    Ich stand trotzdem auf, ging aber noch nicht zum Regal hinüber. Statt dessen fragte ich scharf: »Was habt Ihr vor, Vater Johannes? Ich hoffe, Ihr wollt mich nicht daran hindern, mein Eigentum an mich zu nehmen.«
    Hollbeck blieb unbeeindruckt. Er griff nach einem Krug und füllte roten Wein in die beiden Becher auf dem Tisch. »Keineswegs«, sagte er und lächelte. »Und, um Eure Zweifel und Ahnungen gleich vorab zu ersticken, ich habe auch nicht vor, Euch hier festzuhalten, bis die Knechte der Stadtherren Euch bei mir abholen. Ich habe ihnen keine Botschaft geschickt, und es ist nicht mein Bestreben, Euch auszuliefern. Mögt Ihr nun ein Mörder sein oder auch nicht.«
    »Warum gebt Ihr mir dann den Kopf nicht einfach?« fragte ich, keineswegs beruhigt.
    Er zuckte mit den Schultern. »Ja, warum eigentlich nicht?« Damit trat er an das Regal, nahm den Schädel mit beiden Händen hervor und stellte ihn hart auf den Tisch, gleich neben meinen Becher. »Hier habt Ihr ihn, Ritter.« Und zornig fügte er hinzu: »Es ist nicht meine Art, den Besitz anderer zu stehlen.«
    »Weshalb holtet Ihr den Kopf dann aus der Herberge?« Noch während ich sprach, bemerkte ich bereits, daß mir kaum noch an der Antwort lag. Allein die Tatsache, daß der Schädel wieder bei mir war, brachte mir Entspannung.
    Das Schattentier erbebte.
    Hollbeck sah mich an, und anstelle seines Zorns trat Niedergeschlagenheit. »Ihr solltet sterben. Euer Tod war, so sagte man mir, beschlossene Sache. Ich hatte den Schädel früher schon in Eurem Zimmer gesehen. Da es aussah, als würdet Ihr ihn nicht mehr brauchen können, glaubte ich ihn bei mir gut aufgehoben.«
    »Ähnlich wie den Zauberbeutel?« fragte ich spitz und sprach damit erstmals einen Verdacht aus, der mich seit langem schon beschäftigte. »Das wart doch Ihr, Hollbeck, nicht wahr?«
    Er senkte den Blick und ließ sich auf dem Schemel nieder. »Ich muß es gestehen. Ich nahm ihn, um seinen Inhalt zu erforschen.«
    »War das nötig?«
    »Wie meint Ihr das?«
    »Wußtet Ihr nicht längst, was sich darin befand?« fragte ich und hob meine Stimme. »Wart nicht Ihr derjenige, der ihn zusammenpackte und in meine Kammer brachte?«
    Hollbeck lächelte gütig und schüttelte den Kopf.
    »Wann hätte ich das tun sollen? Nein, mein Freund, ich betrat Eure Kammer zum ersten Mal, als Maria mich um Hilfe rief. Und ich glaube nicht, daß Ihr Grund hättet, dies zu bereuen.«
    Seine Anspielung auf meine Heilung war überflüssig. Ich wußte, daß ich in seiner Schuld stand.
    Der Alte erhob sich, trat erneut an das Regal und zog den Beutel zwischen allerlei Kleinkram hervor. Nachdem er wieder Platz genommen hatte, schüttete er den Inhalt auf die Tischplatte. Der spröde Kadaver des Rattenkönigs rollte bis an meinen Becher und blieb dort liegen. Die beiden verwachsenen Tierkörper hatten plötzlich viel von ihrer Bedrohlichkeit verloren.
    »Was Ihr hier seht«, sagte Hollbeck, »ist nichts als ein Zeugnis tumben Aberglaubens. Mag sein, daß diese Dinge einmal Macht besaßen, doch heute sind sie wertlos. Eine tote Mißgeburt, ein Stück Holz, ein wenig getrockneter Mist … Es bedarf stärkerer Zauber, um Macht über einen Menschen zu erlangen.«
    »Wart denn nicht Ihr derjenige, der Maria zu den Liebeszaubern riet?«
    Er lachte laut auf. »O ja, das war ich. Aber nicht, weil ich an diese Spielereien glaubte. Ich hielt es vielmehr für nötig, dem armen Kind in seiner Liebestrunkenheit ein wenig seelischen Beistand zu leisten. Und wenn Maria auf die Wirksamkeit der Zauber vertraute, bitte schön – vielleicht hätte ihr das unter anderen Umständen den Mut gegeben, Euch ihre Gefühle ehrlicher und freier zu gestehen.« Er nahm einen Schluck Wein und ließ ihn genießerisch durch

Weitere Kostenlose Bücher