Der Rattenzauber
den dürren Haselnußstecken ins fahle Licht des Treppenaufgangs. Mehrere Schriftzeichen waren in seine Rinde geschnitzt, offenbar von jemandem, der des Schreibens nicht kundig war und die Buchstaben verzerrt von einer Vorlage kopiert hatte.
PAX + FIX + ABYRA + SYNTH + SAMASIC las ich, und wenngleich diese Worte wie Latein klangen, so ergaben sie doch keinen Sinn. Trotzdem begriff ich. Die merkwürdigen Zeichen, der Haselnußzweig, der Angriff aus dem Verborgenen – alles Teile eines bäuerlichen Liebeszaubers, von dem ich einst an anderem Ort gehört hatte.
Maria schien zu ahnen, daß ich ihr Ansinnen durchschaut hatte, denn plötzlich sprang sie auf, drängte sich an mir vorbei und verschwand am Ende des Gangs in einer Tür. Von innen schob sie den Riegel vor. Ich stand da, völlig durchnäßt, den Zweig in der Hand, und wußte nicht recht, was ich denken sollte.
Schließlich raffte ich alle Sinne beisammen und betrat meine Kammer. Gleich als erstes entdeckte ich meine Kleidung, die Maria gesäubert und sorgfältig auf dem Bett zusammengelegt hatte. Sie mußte sie über einem Feuer erwärmt haben, um sie bei diesem Wetter in so kurzer Zeit zu trocknen.
Ich legte den Haselnußstecken beiseite, verriegelte die Tür und entkleidete mich. Mit frischem Wasser aus der Schüssel wusch ich mir den Schmutz vom Leib und schlüpfte in die trockene Kleidung. Auf dem Tisch lag die Kugel des Ketzers, die ich vor dem Inferno auf dem Marktplatz eingesteckt hatte. Maria mußte sie in der Tasche meines Wams gefunden und vor dem Waschen beiseite gelegt haben.
Einen Moment lang erwog ich, das Mädchen für das Geschehene zur Rede zu stellen, dann aber legte ich mich einfach aufs Bett, ließ meine Gedanken treiben und muß wohl wiederum eingeschlafen sein, denn …
***
… ich erwachte von Stimmen vor meiner Zimmertür.
Ob Stunden vergangen waren, vermag ich nicht zu sagen. Draußen, im Spalt zwischen den angelehnten Fensterläden, herrschte tiefschwarze Nacht.
Und wieder vernahm ich leises Flüstern und Murmeln.
Augenblicklich war ich auf den Beinen, hielt den Dolch in der Hand und lauschte atemlos ins Dunkel.
Da waren sie wieder. Leise Worte, ganz nah.
Sollten mich einige der aufgebrachten Tagelöhner bis hierher verfolgt haben? Oder hatten andere Meuchelpläne gegen mich geschmiedet? Man wußte zweifellos, wo ich wohnte, und sicher war es ein leichtes, die gierige Wirtin mit einigen Münzen von der Notwendigkeit meines Ablebens zu überzeugen. Vielleicht hatte ich den Zorn des Volkes unterschätzt. Meist glätteten sich die Wogen, sobald sich die Meute zerstreute, und alle Gedanken ans Aufknüpfen und Töten wurden verworfen. Möglicherweise aber war die Lage hier eine andere. Vielleicht war es tatsächlich Haß, mit dem sie mich verfolgten. Vielleicht wollten sie wirklich meinen Tod.
Ich trat an die Tür und horchte. Das Flüstern war noch da, wenngleich es nun aus größerer Entfernung erklang. Konnte es Maria sein, die einen neuen Versuch ausheckte, sich mir zu nähern?
Ich öffnete den Riegel und spähte einmal mehr in die Finsternis. Die gemurmelten Worte waren nun deutlicher zu hören, obgleich sich niemand vor der Tür oder auf dem Gang befand. Meine Kleidung trug ich noch am Körper, so daß es nicht unschicklich war, die Kammer zu verlassen und nach dem Rechten zu sehen.
Ich hatte kaum den ersten Schritt getan, als mir klar wurde, daß das Flüstern aus dem Nebenzimmer kam. Aus Dantes Unterkunft.
Leises Lachen erscholl hinter der Holztür. Durch zahlreiche Fugen drang der flackernde Schein einer Kerze. Gut möglich, daß sich der sündige Italiener ein junges Weibsbild von der Straße mit aufs Zimmer genommen hatte. In einem Haus wie diesem, in solcher Umgebung, mußte das ganz alltäglich sein. Ich ließ den Dolch sinken und wandte mich zurück zu meiner Kammer, als Dante mit einem Ruck die Tür öffnete.
»Sieh da«, sagte er keck, »der edle Ritter lauscht an fremden Türen. Zudem zu solch später Stunde. Ich muß mich wundern.«
Ich blieb wie vom Schlag getroffen stehen. Schließlich drehte ich mich zu ihm um. »Ich weiß nicht, was Ihr meint, werter Dante.«
Sein Blick fiel auf den Dolch in meiner Hand. »Ich hoffe, es waren keine Mordgelüste, die Euch an meine Schwelle trieben.«
Ich fühlte mich ertappt, gedemütigt durch jedes seiner Worte. »Verzeiht, wenn ich mich nun zurückziehe«, entgegnete ich knapp. »Und Ihr, mein Herr, solltet Euren Besuch nicht ungebührlich warten
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