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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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verwurzelt ist, solch einen Aufwand betreiben, um ihm gefällig zu sein. Ganz Hameln ist seit Wochen wegen dieses Spiels auf den Beinen. In wenigen Tagen findet die Aufführung mit der Kreuzigung Christi ihren Höhepunkt. Es heißt, der Herzog persönlich, wie auch der Bischof von Minden, werden anwesend sein.«
    Diese Nachricht traf mich unerwartet. »Beide kommen nach Hameln?« fragte ich verblüfft.
    »So sagte man mir. Ihr wußtet nichts davon?«
    »Am Hof hat man mir nichts davon erzählt.«
    Dante lachte. »Nun fürchtet Ihr, Euer Herr wird einen Bericht über den Stand Eurer Nachforschungen verlangen. Ihr fürchtet, Euer Gesicht zu verlieren.«
    Ich muß eingestehen, daß Dante mich durchschaute.
    »In der Tat.«
    »Ich will Euch mit einem Hinweis behilflich sein, denn wenngleich ich auch hoffe, den Aufenthaltsort der Kinder zu kennen – eben die Hölle, wie Ihr wißt –, habe ich doch ein, zwei Dinge erfahren.«
    »So sprecht«, bat ich hoffnungsvoll.
    Dante veränderte seine Haltung und brauchte eine Weile, bis er wieder angenehm saß. Die Wartezeit stellte meine Geduld auf eine harte Probe. Dann aber sagte er:
    »Unter den hundertdreißig Verschwundenen war eine, die viel älter war als alle anderen.«
    »Bislang hieß es, nur Kinder seien abhanden gekommen.«
    »Allerdings. Und doch war eine dabei, die bereits ihr siebzehntes Jahr vollendet hatte.«
    »Wer?«
    Dante hob beide Augenbrauen. »Die einzige Tochter des Bürgermeisters, Margarete Gruelhot. Sie stand kurz vor ihrer Vermählung.«
    Ich dachte eine Weile nach, ob dies eine Bedeutung haben mochte, kam aber zu keinem rechten Ergebnis. Daher fragte ich: »Was war es noch, das Ihr erfuhrt?«
    »Eine Magd soll den nächtlichen Auszug der Kinder aus der Stadt in Richtung Kopfelberg beobachtet haben.«
    »Wo finde ich sie?«
    Dante seufzte. »Dies eben ist das große Hindernis. Die junge Frau ist gleich danach ins Klarissenkloster am Rande der Stadt eingetreten.«
    »Dann werde ich sie dort aufsuchen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Die Klarissen geloben bei ihrer Aufnahme strenges Schweigen. Nur alle zwei Wochen dürfen sie einen Besucher empfangen und mit ihm durch ein enges Gitter einige Worte wechseln. Das Gitter ist undurchsichtig, man kann nie sicher sein, wer einem auf der anderen Seite gegenübersitzt. Ein einziges Mal im Jahr ist es ihnen erlaubt, einem Besucher von Antlitz zu Antlitz zu begegnen, doch bis dahin müssen noch neun Monde vergehen.«
    »Ich muß sie nicht sehen, um mit ihr zu sprechen«, sagte ich. »Gleich morgen will ich ins Kloster gehen und sie aufsuchen.«
    »Nun«, sagte Dante, »dann wünsche ich Euch viel Glück. Ich selbst werde meine Forschungen auf dem Kopfelberg weiterführen. Vielleicht können wir am Abend unsere Ergebnisse austauschen.«
    »Mit dem größten Vergnügen«, erwiderte ich. Dies war ein guter Moment, das Gespräch für die Nacht zu beenden, daher erhob ich mich. Auch Dante stand auf und reichte mir die Hand. »Ein Verbündeter kann uns beiden schwerlich schaden, oder?«
    Ich lächelte erfreut über dieses Angebot seiner Freundschaft und schlug ein. Als ich zur Tür ging, fiel mein Blick auf Dantes Kapuzenmantel, der in einer Ecke lag.
    »Sagt, mögt Ihr mir Euren Mantel borgen?« fragte ich. »Mir scheint es besser, fortan unerkannt durch die Straßen zu gehen.«
    »Sicher«, erwiderte Dante. »Nehmt ihn mit.«
    Damit verließ ich ihn und trat frohgemut zurück in meine Kammer. Der Abend hatte eine Wende zum Guten genommen, die erste, seit ich die Stadt betreten hatte. Ein Freund war in Umständen wie diesen ein Geschenk des Himmels, und ich blickte dem morgigen Abend mit Ungeduld entgegen.
    Das Schicksal freilich hielt anderes bereit.
      
      
      
    KAPITEL 3
    Von Dantes weinrotem Mantel dicht umhüllt und die Kapuze hochgeschlagen, trat ich am Morgen aus der Hintertür der Herberge, als mir plötzlich ein kleiner Junge über den Weg lief. Das heißt, er lief nicht wirklich; der Kleine zog das linke Bein nach, als sei es gänzlich abgestorben, und sein Gang war mehr das lahme, schwerfällige Schwanken eines dümpelnden Seglers im Hafenbecken. Sein linker Fuß baumelte verquer am Ende des toten Körperteils und zog eine tiefe Furche in den Schlamm, die sich hinter ihm sogleich mit Wasser füllte.
    Der Kleine schwankte an mir vorüber, ohne mich zu beachten, denn zu beschäftigt war er mit dem kraftraubenden Akt seiner Fortbewegung. Sein Gesicht glänzte vor Nässe. Er trug die einfache Kleidung der

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