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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Hölle wagen und auf eine glückliche Rückkehr hoffen?«
    »Wem sollte dann überhaupt das Heil versagt bleiben, wenn nicht einmal demjenigen, der die Nähe des Teufels sucht?« fragte ich zweifelnd.
    Dante hob die Schultern. »Sicher wird es jener nicht erlangen, der niemals getauft wurde.«
    »Damit schließt Ihr all diejenigen aus, die vor der Offenbarung und den Lehren Christi lebten.«
    »Ganz gewiß.«
    »Was aber ist mit Platon, Sokrates und – Ihr nanntet ihn selbst – mit Aristoteles? Mit Aeneas, Homer und Heraklit? Was ist mit Horaz und Ovid?«
    Dieser Einwand ließ Dante fast väterlich lächeln. »Sie haben schlichtweg Pech gehabt.«
    Ich runzelte die Stirn. »Damit erhebt Ihr Euch über die Kirche. Noch nie hat sie einen Menschen zur Hölle verdammt. Nicht einmal Judas Ischariot.«
    »In der Tat. Und warum ist das so?«
    »Sagt Ihr es mir.« Zu meinem eigenen Erstaunen mußte ich feststellen, daß ich am Gespräch mit Dante Gefallen fand.
    Der Florentiner räusperte sich. »Einerseits mag die Kirche so handeln, weil sie nie den Glauben an die göttliche Gnade verlieren darf, denn damit widerspräche sie ihrer eigenen Berechtigung. Doch wichtiger ist in meinen Augen, daß die Entscheidung, einen Menschen zu verdammen, höchst gefährlich sein könnte. Jemandem das Paradies zu versprechen verpflichtet zu nichts; falls er nach den Regeln Gottes und der Kirche lebt, wird er sich eines Tages dort wiederfinden. Andererseits: Einen Menschen zur Hölle zu verdammen könnte sich im Falle eines Irrtums als fatal erweisen, denn eine solche Verkündung ist unwiderruflich. Träfe man den Unglücklichen – oder eben Glücklichen – statt dessen im Himmel an, müßten die Pfaffen ihren Fehler eingestehen. Und die Kirche lebt davon, daß sie keine Fehler gesteht.«
    »Das aber würde bedeuten, die Hölle wäre leer«, sagte ich. »Warum wollt Ihr sie dann finden?«
    »Leer ist sie nicht. Nur weiß niemand zu Lebzeiten eines Menschen, ob es ihn dorthin verschlagen wird. Glaubt man den alten Berichten, so ist Satans Reich gar übervoll mit armen Seelen.«
    Mein Blick fiel erneut auf den Bronzeschädel an Dantes Seite. »Bevor Ihr weitersprecht, erlaubt mir eine Frage. Hat Euch … Albertus, so war doch sein Name? Hat er Euch je geantwortet?«
    Ich hatte die Worte nicht ganz ernst gemeint, was Dante kaum zu bemerken schien, denn er erwiderte aufrichtig: »Gelegentlich gibt er Antwort. Doch vielleicht sollten wir beim alten Gegenstand unseres Gespräches bleiben, denn ich fürchte, Ihr mögt mir ohnehin nicht glauben.«
    »Woher habt Ihr den Kopf?« fragte ich, ohne seine letzten Worte zu beachten.
    Dante lächelte verlegen. »Er gehörte einst Albertus von Bollstädt, darum gab ich ihm seinen Namen. Auch er führte Zwiegespräche mit ihm. Es heißt, Thomas von Aquin habe ihn zerschlagen, als er und Albertus sich trafen.« Er schmunzelte. »Thomas hielt ihn für Teufelswerk, was man einem großen Geist wie dem seinen wohl nachsehen muß. Es mag wahr sein, daß ihn der Schädel entsetzte, doch daß er ihn zerstörte, ist eine Lüge. Tatsächlich stahl er ihn von Albertus und nahm ihn mit in seine Heimat. Ich stieß darauf, als ich Thomas’ Werk vorort studierte.«
    »Wie das?« fragte ich erstaunt.
    Dante wurde offenbar unbehaglich zumute, denn er wandte den Blick ab und ließ ihn fahrig durchs Zimmer schweifen. »Nun, sagen wir, ich fand ihn.«
    Ich lachte laut auf. »Dann habt Ihr ihn gestohlen.«
    »Wie könnt Ihr es wagen?« fuhr er auf, nur um sogleich hinzuzufügen: »Nun ist er jedenfalls mein. Laßt uns über etwas anderes sprechen. Sagt mir, wie es mit Euren eigenen Ermittlungen im Fall der verschwundenen Kinder steht.«
    Ich zögerte einen Augenblick, dann faßte ich endgültig Vertrauen zu dem Kauz und berichtete ihm von meinen Erlebnissen und Niederlagen. Nur über Marias Liebeszauber schwieg ich.
    Nachdem ich geendet hatte, sagte Dante lange Zeit kein Wort. Dann, nach einer ganzen Weile, die mir beinahe endlos schien, meinte er: »Die Hamelner sind gottesfürchtige Menschen, die sich völlig ihrem Schicksal ergeben. Offenbar mögen sie es nicht, wenn man sich in ihre Obliegenheiten mischt.«
    »Nennt Ihr es gottesfürchtig, wenn man einen Ritter des Herzogs grundlos ermorden will?«
    Statt einer Antwort fragte Dante: »Habt Ihr die Mysterienbühne auf dem Marktplatz gesehen?«
    Ich nickte, und er fuhr fort: »Dann wißt Ihr auch, daß nur Menschen, in denen der Glaube an Gott und seine Gnade tief

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