Der Rattenzauber
lassen.«
»Meinen Besuch?« Einen Augenblick lang schien er verwirrt, dann entfuhr ihm ein herzliches Lachen. »Ihr meint sicher Albertus.«
Keine Frau, also – ein Mann. Um so schlimmer.
»Gute Nacht«, empfahl ich mich und wollte endlich in mein Zimmer treten, als er sagte:
»Bitte, edler Ritter, wartet einen Augenblick. Ich weiß, Ihr denkt schlecht über mich, wegen der Dinge, die ich zu Euch beim Essen sagte. Doch zumindest Euren letzten Verdacht will ich zerstreuen.«
»Nicht nötig«, erwiderte ich kühl, doch da war er bereits in seiner Kammer verschwunden und rief: »Tretet doch einen Moment lang ein.«
»Ich wüßte nicht, weswegen«, sagte ich.
Dante erschien wieder im Türrahmen. »Deswegen«, sagte er und hielt mir mit beiden Händen einen Kopf entgegen. »Wegen Albertus.«
Nun war dies kein gewöhnlicher Kopf, wie es im ersten Augenblick erschien. Er hatte Größe und Form eines menschlichen Schädels, mit kurzem, enganliegendem Haar und scharfgeschnittenen Zügen. Seine Miene strahlte ehrwürdige Strenge aus, die Lippen waren schmal, kaum mehr als dünne Striche. Die Wangenknochen wetteiferten beinahe mit der Nase, so spitz standen sie hervor. Beide Augenbrauen waren zusammengezogen, was dem ganzen Gesicht einen übellaunigen, unzufriedenen Ausdruck verschaffte.
Der Kopf war aus Metall, aus Bronze, nahm ich an. Der Künstler, der ihn geschaffen hatte, mußte große Mühe darauf verwandt haben, ihm möglichst große Lebensnähe zu verleihen. Selbst das Innere der Augen war wirklichkeitstreu nachgebildet.
»Sehr schön«, sagte ich ehrlich beeindruckt, wenngleich mir der Sinn dieser Vorführung entging.
Dante lächelte noch immer. »Dies ist Albertus. Zumindest nenne ich ihn so. Er war es, mit dem ich mich vorhin unterhielt.«
»Ihr sprecht mit einem Bronzekopf?« fragte ich zweifelnd.
Dante zog belustigt die Augenbrauen in die Höhe.
»Ich kann mir denken, was Ihr von mir haltet. Erst mein Reden über die Hölle, und nun dies.«
Tatsächlich war mir ein wenig flau im Magen. Nicht etwa aus Furcht; vielmehr berührten mich seine wirren Worte aufs Peinlichste. Gewiß war es am besten, wenn ich mich endlich zurückzog.
»Meine Einladung gilt noch«, sagte Dante. »Kommt einen Moment zu mir herüber. Ich mag in Euren Augen ein bemitleidenswerter Verrückter sein, doch, glaubt mir, gefährlich bin ich nicht.«
Ich bin heute nicht mehr sicher, was es war, das mich umstimmte. Vielleicht war es eine gewisse Ehrlichkeit, die aus seiner Stimme sprach, oder auch nur die beruhigende Erwartung, mit einem Menschen ein paar freundliche Worte zu wechseln.
Wie auch immer – ehe ich mich versah, saß ich in Dantes Kammer auf einem Holzschemel, blickte unsicher zwischen dem Italiener und seinem Bronzekopf einher und hörte mich fragen: »Wie weit seid Ihr mit Euren Nachforschungen gekommen?«
Er setzte sich mir gegenüber auf die Bettkante und stellte den Schädel sanft mit dem Halsstumpf auf die Decke. »Das Tor zur Hölle habe ich nicht gefunden, soweit kann ich Euch beruhigen. Ich hege langsam Zweifel, ob sich die Reise hierher für mich auszahlen wird.«
»Ist Euch jemals der Gedanke gekommen, daß Euer Streben sündig sein könnte?« fragte ich.
»Nicht nach meinem Verständnis von Sünde.«
»Und welches wäre das?«
Dante holte tief Luft und lehnte sich gegen die Wand.
»Die Antwort gibt uns Aristoteles: zügelloser Appetit, mangelnde Beherrschung im Benehmen, tierisches Verhalten und krankhafter Geschmack, lasterhaftes und böses Tun, also eine schlechte Anwendung der menschlichen Vernunft. Oh, und vergessen sollten wir nicht Cicero, der Verrat und Gewalt verurteilte.«
»Ihr überseht dabei die zehn Gebote des Herrn.«
Dante schüttelte entschieden den Kopf. »Denkt nach, und Ihr werdet feststellen, daß sie alle im eben genannten enthalten sind. Allerdings bin ich bereit, der Kirche ein Zugeständnis zu machen und Ketzerei und Unglauben mit ins menschliche Sündenregister aufzunehmen.«
»Und, glaubt Ihr nicht, Eurer Streben nach einem Abstieg zur Hölle sei Ketzerei?«
»Keineswegs. Viele fromme Menschen haben von ihren Erlebnissen im Reich des Leibhaftigen berichtet, und sie alle waren danach ebenso treue Diener ihres Schöpfers wie zuvor.« Er zog beide Beine zum Schneidersitz an. »Ich bin vollkommen sicher, daß mir das Heil des Herrn, auch bei einem Erfolg meiner Suche, nicht versagt bleiben wird. Denn wie anders, als unter seinem Schutz, könnte ich mich jemals hinab in die
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