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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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zu Hofe, hatte noch ein so makelloses Gebiß.
    Ich wußte, ich hatte mein Ziel erreicht.
    »Ihr seid der Einsiedler, nicht wahr?« fragte ich. »Der Nigromant vom Kopfelberg.«
    Der Alte lachte, und es klang weder meckernd noch krächzend. »Johannes Hollbeck ist mein Name. Pfarrer Johannes Hollbeck.«
    Ich setzte mich auf und deutete eine förmliche Verbeugung an. »Gepriesen sei Gott.«
    Das schien ihn noch mehr zu belustigen. »Sagt Ihr das, weil ich ein Geistlicher bin, oder weil Euch der Schädel nicht mehr schmerzt? – Nein, haltet ein, Ihr braucht keine Antwort zu geben. Sagt mir lieber, wer Ihr seid.«
    Das tat ich und erwähnte sogleich, daß ich von einem guten Freund erfahren hätte, daß er hier zu finden sei.
    Der Alte lachte noch immer, ohne erkennbaren Grund.
    »Macht Ihr Euch über mich lustig?« entfuhr es mir. Ich bereute die Frage noch im selben Atemzug. Offenbar hatte dieser Mann mich zurück in die Wirklichkeit geholt. Ein wenig Dankbarkeit war durchaus angebracht.
    »Verzeiht mir«, bat er versöhnlicher. »Es kommt selten vor, daß sich ein Mensch hierher verirrt, und so neige ich dazu, jedes Quentchen Fröhlichkeit aus einem solchen Ereignis zu ziehen. Aber ich will Euch nicht beleidigen, keineswegs.«
    »Ich bin es, der um Verzeihung bitten muß«, entgegnete ich beschämt. »Ihr habt mich –«
    »Gerettet?« unterbrach er mich. »O nein, mein junger Freund. Ich habe Euch nur ein – zugegebenermaßen recht unangenehmes – Gebräu eingeflößt, dessen Rezeptur mir der Herr in einer Winternacht eingab. Es vertreibt böse Geister, Altersschwachsinn, die Folgen der Trunkenheit und Zahnfäule.« Er hielt einen Moment lang inne, dann fuhr er fort: »Aber sagt, der Freund, von dem Ihr spracht, war das der junge Florentiner?«
    »In der Tat«, erwiderte ich und war dabei nicht ganz sicher, was von dem Alten zu halten war. Ich spürte, daß mein Kinn feucht war, und auch der widerlich bittere Geschmack in meinem Mund bezeugte, daß er mir tatsächlich etwas zu trinken gegeben hatte. Was immer es gewesen war, das mich vor Stunden befallen hatte, nun war es fort.
    Ich sah mich um und bemerkte, daß wir uns in einer Senke im Wald befanden. Sie war annähernd rund und etwa zehn Schritte im Durchmesser, ganz so, als habe sie ein Riese mit einem gewaltigen Löffel ausgehoben. An einer Seite wurde diese Vertiefung von grauen Felsen begrenzt, zwischen denen ein schwarzer Spalt in Ungewisse Bergtiefen führte. Da ich mich nicht erinnern konnte, den Weg aus eigener Kraft gefunden zu haben – tatsächlich erinnerte ich mich an gar nichts –, mußte mich wohl der Alte hierher geschleppt haben. Sogleich besah ich mir verstohlen seinen Körper. Was unter seiner groben Kutte an Statur zu erahnen war, ließ auf eine einstmals kraftvolle Jugend schließen. Noch heute waren seine Schultern breit, die Arme muskulös. Ein Mann voller Widersprüche.
    Er schien meine Blicke nicht zu bemerken und fragte unbekümmert: »Wenn Ihr ein Freund des Florentiners seid, so seid wohl auch Ihr auf der Suche nach den Kindern von Hameln?«
    »Wißt Ihr etwas darüber?«
    »Habt Ihr mich denn im Verdacht?« entgegnete er schmunzelnd.
    »Ihr müßt verstehen, daß ich jeder Spur folgen muß.«
    »Und die Spur, die Euch zu mir führte, ist der Bericht Eures Freundes?«
    Ich nickte. »Er sprach von merkwürdigen Pflanzen, die –«
    Sein schallendes Gelächter schnitt mir das Wort ab.
    »Meine kleinen Lieblinge! Als hätte ich nicht geahnt, daß es ein Fehler war, den Florentiner laufen zu lassen.«
    »Wie bitte?« entfuhr es mir erregt.
    Er schüttelte immer noch lachend den Kopf und machte eine wegwerfende Geste mit der Rechten. »Nur ein Scherz«, sagte er, »nur ein Scherz. Aber ich dachte mir, daß er seinen Mund nicht würde halten können. Wißt Ihr, ich jagte ihm ein wenig Angst ein, in der Hoffnung, er würde seine Entdeckung für sich behalten. Doch wie ich sehe, war dies vergebens. Er weiß es, Ihr wißt es, und wahrscheinlich schon halb Hameln.«
    »Seid versichert, daß niemand außer ihm und mir eingeweiht ist.«
    »Die Bürger Hamelns mögen Euch nicht.«
    »Nein, das tun sie wohl nicht«, gab ich zu. »Doch, um ehrlich zu sein, das beruht auf Gegenseitigkeit.«
    »Aber Ihr stammt doch aus Hameln.«
    »In der Tat. Doch woher wißt Ihr das?«
    »Oh«, sagte er nur und zuckte mit den Schultern, ließ sich aber schließlich doch zu einer Erklärung herab: »Gelegentlich gehe ich hinunter in die Stadt, meist ins Kloster der

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