Der Rattenzauber
nachdem man ihm die Kehle durchschnitten hatte?
Mein Blick fiel erneut auf das Blut an meiner Hand, und ein Gedanke bohrte sich mir wie ein Holzpflock ins Hirn: Was, wenn die Soldaten des Bürgermeisters kämen und das Blut an meinen Fingern sähen? Würden sie nicht sogleich die falschen Schlüsse ziehen? Ich mußte die Hand so schnell wie möglich säubern.
Ich drängte mich an der verwirrten Maria vorbei, lief in mein Zimmer und tauchte die Hand in die Schüssel auf dem Tisch. Sofort zogen hellrote Schlieren durch das Wasser. Nachdem meine Finger sauber waren, nahm ich die Schüssel und kippte ihren Inhalt in eine Ecke des Zimmers. Das Wasser versickerte sogleich zwischen den Dielenbrettern.
Als ich mich umdrehte, stand Maria im Türrahmen und sah mich aus großen Augen an.
»Was tut Ihr da?« fragte sie erstaunt.
»Nichts«, entgegnete ich knapp, schloß die Tür direkt vor ihrer Nase und öffnete statt dessen die Fensterläden. Mit bangen Gedanken legte ich mich zurück ins Bett und sah zu, wie der Rauch davontrieb in die Nacht.
***
Schlaf fand ich keinen mehr in den Stunden, die folgten. Ein Scherge des Bürgermeisters klopfte kurz darauf an meiner Tür und stellte ein paar harmlose Fragen. Offenbar hatte niemand Verdacht geschöpft, ich könne mehr über Nikolaus’ Tod wissen, daher ließ man mir schon bald meine Ruhe. Wie es schien, gab es dringendere Verdächtige, denen man den Mord am Baumeister zutraute. Ich lag wach, bis der Morgen graute, den scharfen Geruch des Feuers in der Nase, den Kopf voll mit unheilvollen Rätseln. Wer hatte Meister Nikolaus getötet? Das Blut bewies, daß ich in der Tat in dem Zimmer gewesen war, bevor das Feuer ausbrach – doch nirgends war der Mörder zu sehen gewesen. Und hatte ich die Schritte hinter den Wänden wirklich gehört? Oder waren zumindest sie nur ein Traum gewesen?
Und die schlimmste aller Fragen: Verlor ich allmählich den Verstand?
Einmal blickte ich im Dunkeln auf und sah direkt in die eisigen Augen des Bronzeschädels. Er stand auf dem Tisch, das Gesicht in meine Richtung gewandt. Fast schien er auf etwas zu warten. Aber auf was? Daß ich ihn erneut um Hilfe bat?
Stunden später graute ein Morgen wie alle vorangegangenen über den Giebeln der Hütten, farblos und finster, eine matte Helligkeit hinter der schweren Wolkendecke. Ich war froh, das Haus verlassen zu können. Der Gestank von verbranntem Fleisch hatte sich in die Wände gekrallt, auch ich selbst roch danach. Ich wünschte mir ein Bad, doch dazu blieb keine Zeit. Es gab noch jemanden, den ich aufsuchen mußte, und nach den Geschehnissen der vergangenen Nacht war ich weit williger, an seine Existenz zu glauben.
Die mißtrauischen Blicke der Menschen in den Gassen folgten mir bei jedem meiner Schritte, ihr Argwohn war allgegenwärtig. Ich mußte mich damit abfinden, gewöhnen aber würde ich mich nie daran. Ich spürte, wie mir zahllose Augenpaare nachstarrten, wie immer wieder einzelne stehenblieben, mich beobachteten, mit anderen flüsterten. Es drängte mich, meine Wut herauszuschreien, sie anzubrüllen: »Welche Schuld habt ihr selbst auf euch geladen?« Doch ich zog den Kopf nur tiefer zwischen die Schultern und beeilte mich, die Stadt durchs Osttor zu verlassen.
Ich hätte die Strecke bis zum Kopfelberg zu Pferd zurücklegen können, doch laut Dantes Beschreibung waren die Wälder dicht und unwegsam, und der Rappe würde mir eher hinderlich als nützlich sein. So ging ich vorbei am Richtplatz an der Westflanke des Berges und verharrte einen Augenblick, um den schwarzen Holzblock zu betrachten, auf dem schon so manch Verurteilter sein Haupt hatte niederlegen müssen, in banger Erwartung des blitzenden Beils. Der Block thronte auf einer niedrigen Holzbühne. Der Boden war festgestampft von Generationen leidsüchtiger Zuschauer.
Der Hang stieg nicht allzu steil bergauf. Zu anderer Zeit, mit anderem Ziel hätte mein Weg einen feinen Spaziergang abgegeben; so aber war mir nicht wohl, als ich den Waldrand erreichte und mich seiner kühlen Umarmung ergab. Die hohen, schlanken Bäume vereinigten sich hoch über meinem Kopf zu einem grüngelben Dach. Säulengleich stützten die Baumstämme eine Kathedrale aus Laub. Eine schwere Stille verstärkte die ehrwürdige, fast sakrale Stimmung dieser Wälder. Es gab hier keinen Pfad, zumindest keinen, den ich fand, so daß ich mir selbst eine Schneise durch das wilde Gestrüpp bahnen mußte. Am Fuße der Buchen, Eichen und vereinzelten Fichten
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