Der Rattenzauber
krallte sich Mitleid um mein Herz. Sie hockte da wie ein Hund, der nicht begriff, was er angerichtet hatte. Das Blut legte ein eigentümliches Muster auf ihre Züge, wie fremdartige Schriftzeichen. »Willst du verleugnen, daß du den Beutel unter mein Bett genagelt hast?«
Sie legte den Kopf leicht schräg. Der Vorwurf traf sie unerwartet. »Einen Beutel, Herr?«
»Ja, verdammt!«
»Ich weiß nichts von einem Beutel.«
»Verstell dich nur, Hexe. Doch ich warne dich: Diesmal bist du zu weit gegangen.«
»Herr, ich verstehe Euch nicht. Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.« Nun traten doch noch Tränen in ihre wunderschönen Augen. Ich kämpfte gegen mein Mitgefühl an. Es fiel mir nicht schwer.
»Streitest du ab, dich der Zauberei schuldig gemacht zu haben?« fragte ich laut.
»Edler Herr«, meldete sich da erstmals die Wirtin zu Wort. »Habt Erbarmen. Nicht den Scheiterhaufen für das Kind. Wer soll mir dann zur Hand gehen?«
Ich beachtete sie nicht. »Streitest du deine Schuld ab?« fragte ich noch einmal.
Maria senkte ihren Blick und schüttelte den Kopf.
Blut hatte ihr Haar verklebt. »Ihr wißt, daß ich versuchte, Euch mit Liebeszaubern zu betören.« Plötzlich aber ruckte ihr Gesicht in die Höhe, und Wut sprach aus ihrem Blick. »Ich habe dies nie abgestritten, denn ich liebe Euch, mein Ritter. Doch von einem Beutel weiß ich nichts!«
Die Heftigkeit ihrer Worte und der feste Klang, der plötzlich in ihrer Stimme lag, trafen mich unvorbereitet. Leiser Zweifel schlich sich in mein Wissen um ihre Schuld, eben noch unerschütterlich, jetzt plötzlich wankend.
»Ich glaube dir kein Wort«, stieß ich hervor.
»Nun«, entgegnete sie fest, »dann laßt es eben.« Damit zog sie sich am Tisch in die Höhe. Noch immer machte sie keine Anstalten, das Blut aus ihrem Gesicht zu wischen. Sie stand da, kraftlos auf den Tisch gestützt, mit Trauer und Wut in den Augen. Die Wunde an ihrer Schläfe mußte schmerzen, und ihr schien heftig zu schwindeln. Da erst begriff ich, was ich getan hatte. Nie zuvor war ich einer Frau mit Gewalt begegnet, erst recht keinem jungen Mädchen wie Maria. Einem Kind, das keinen Hehl daraus machte, was es für mich empfand.
War meine Grausamkeit eine Folge des Fluchs? Und falls ja – mochte dann nicht auch der Mord am Baumeister hier seine Wurzeln haben? Im Hexenbeutel unter meinem Bett – und längst auch im Inneren meines Schädels?
Plötzlich wußte ich, was zu tun war.
Ich fuhr herum, ließ Maria stehen, eilte an der verwirrten Alten vorüber und sprang die Treppe hinauf. In meiner Kammer verriegelte ich von innen die Tür, ergriff mein Bündel und kippte seinen Inhalt aufs Bett. Neben einem zweiten Dolch befanden sich darin ein gefaltetes Wappen meines Herzogs, Handschuhe mit Eisenbesatz, Feuersteine und meine Bibel, die man mir beim Ritterschlag überreicht hatte. Sie war überaus wertvoll, von Kopisten eines herzoglichen Klosters hergestellt und in reichverziertes Leder gebunden. Nur wenige nannten einen solchen Schatz ihr eigen.
Jedoch, was ich in diesem Augenblick suchte, war keines der genannten Dinge. Was ich benötigte, befand sich in einer Handvoll kleiner Metallgefäße, unzerbrechlich und mit Wachs verschlossen. In einem bewahrte ich Weihwasser, in einem anderen Weihrauch. Ein drittes, viertes und fünftes war gefüllt mit anderen geweihten Substanzen. Es gibt Worte, sie zu beschreiben, Geruch, Geschmack und Aussehen festzuhalten, doch nichts davon wird ihrem wahren, ihrem heiligen Wert gerecht.
Bis zur ersten Weihe hatte man mich vieles gelehrt, das sich nun, so hoffte ich verzweifelt, als hilfreich erweisen würde. Es galt, den Fluch von mir zu heben, und ich will nicht vorenthalten, daß der Versuch mich fast das Leben kostete.
Es ist ungemein schwierig, eine Teufelsaustreibung an einem anderen zu vollbringen – sie aber an sich selbst vorzunehmen, bedeutet unausweichlichen Untergang.
Heute weiß ich das. Damals nicht.
***
Das beruhigende Gefühl von absolutem Schmerz umgab mich wie eine träge, warme Flüssigkeit. Beruhigend, weil es mir sagte, daß ich lebte. Auf meiner entblößten Brust saß der Rattenkönig und fraß sich schmatzend in mein Fleisch. Ich sah ihm eine Weile zu, erst aufmerksam, allmählich gelangweilt. Er tat nur das eine: Er fraß und fraß und fraß. Mit beiden Mäulern. Abscheulich – und schmerzhaft.
Jemand schlug mir ins Gesicht, und ich öffnete die Augen. Der Rattenkönig war verschwunden. Nur die Wunde blieb, wenngleich sie
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