Der Rattenzauber
neugeborene Ratten, von der Natur aneinandergeschmiedet, kaum lebensfähig, weil sie stets mit dem anderen verbunden sind.
Ich erinnerte mich, wie ein Stallknecht am Hofe des Herzogs ein solches Paar im Stroh entdeckt hatte, lebendig und leise wimmernd. Der alte Mann war ehrfürchtig davor zurückgewichen. »Ein Rattenkönig«, hatte er geflüstert, mit starrem Gesicht und fahler Haut, »da liegt ein Rattenkönig.« Damals hatte ich gelacht – wohl um meinen Ekel zu überspielen –, doch der Alte warnte mich: »Es gibt Rattenkönige auch unter uns Menschen, Männer und Frauen, die so eng mit ihrem Schicksal verbunden sind, daß sie sich nie davon zu lösen vermögen und schließlich daran zu Grunde gehen.« Daraufhin hatte ich die wimmernde Spottgeburt voller Abscheu unter meinem Stiefel zertreten.
All das sprang mir beim Anblick der schwarzen Kadaver wieder ins Gedächtnis. Gänsehaut kroch über meine Arme.
Doch der Rattenkönig war nicht das einzige, was sich in dem Beutel befand. Seine Überreste vermischten sich mit einer spröden, übel riechenden Masse; ich hatte keinen Zweifel, daß es sich um menschliche Ausscheidungen handelte. Darüber hatte man helles Pulver gestreut, zweifellos ein Gift. Ein Rätsel gab mir allein der fingerlange Holzspan auf, der sich unter den anderen entsetzlichen Zutaten befand. Doch auch seine Herkunft blieb mir nicht lange verborgen: Es war der Splitter eines Galgens oder Richtblocks, nichts lag in diesem Falle näher. Je mehr Menschen ihr Leben daran verloren hatten, desto stärker die böse Zauberkraft des Spans. Denn diese war fraglos allem Inhalt des Beutels gemeinsam: Jedes Teil diente übler Hexerei. Man wollte mich mit einem Fluch belegen, und wenn ich die Träume und Visionen der vergangenen Tage bedachte, so schien dies längst gelungen.
Mit dieser Erkenntnis überkam mich solches Grauen, solche Furcht, daß ich glaubte, mein Körper sei zu Eis geworden. Ich war ein Mann des Glaubens, christlich bis ins Mark, doch gab es zweifellos auch in mir eine Furcht, die stärker war, als jene vor Gott: die Angst vor der Macht der Schwarzen Magie.
Ist es nicht eigenartig, wie berechenbar wir Menschen sind? Wie leicht zu verunsichern? Hätte der Zauber einem anderen gegolten, so hätte ich gelacht, ihn keinesfalls für ernst genommen. Doch nun, wo er mich selbst verhexte, war ich von seiner teuflischen Kraft überzeugt.
Panik regierte mein Denken und Handeln. Ich holte aus, um den Beutel samt seines Inhalts vom Tisch zu fegen. Im letzten Moment gelang es mir, die Bewegung aufzuhalten. Es lag nichts Gutes darin, die Zutaten des Zaubers im ganzen Zimmer zu verstreuen. Und zugleich mit dieser Einsicht bemächtigte sich meiner ein unerhörter Zorn. Denn ich ahnte, wem ich den Zauber zu verdanken hatte.
Wie besessen (und war ich das nicht in der Tat?) hastete ich hinaus auf den Gang. Schrie Marias Namen. Einmal, zweimal. Immer wieder. Schritte polterten auf der Treppe, als die fette Wirtin heraufstürmte.
»Edler Herr, was ist geschehen? Wie –«
Ich ließ sie nicht ausreden. Keine Zeit für ihr Gestammel.
»Maria!« brüllte ich erneut. »Wo ist das Weib?«
»Unten, Herr«, entgegnete die Alte angstvoll. »Aber was –«
Ich drängte sie zur Seite und eilte die Stufen hinunter. Maria stand im leeren Schankraum, die Augen weit aufgerissen, Schultern und Körper zusammengesunken wie ein Gehängter am Galgen. Das weiße Tuch, mit dem sie die Tische abgewischt hatte, war ihr vor Angst aus der Hand gefallen. Es lag vor ihren Füßen wie eine tote Taube mit gespreizten Flügeln.
»Du!« entfuhr es mir. Ich stürmte auf sie zu und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Sie stolperte zur Seite, brach in die Knie und schlug dabei mit dem Kopf auf die Tischkante. Plötzlich war Blut auf ihrem Gesicht.
Sie sagte kein Wort. Weinte nicht einmal. Hockte einfach nur da, blutend und verstört. Aus ihren großen braunen Augen blickte sie zu mir auf.
»Was habe ich Euch getan, Herr?« fragte sie mit bebender Stimme.
» Was du mir getan hast? « schrie ich. »Du bist des Teufels, Weib. Des Teufels!« Hinter mir hörte ich die Schritte der Wirtin, doch sie wagte nicht, einzugreifen.
»Ich habe den Boden gewischt und das Bett gemacht« flüsterte sie. »Ich goß frisches Wasser in Eure Schüssel und – «
»Wasser!« brüllte ich spöttisch. »Du brachtest mir Wasser, in der Tat – und einen Fluch.«
»Einen Fluch, Herr?«
Ich wollte sie erneut schlagen, doch trotz all meiner Wut
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