Der Rattenzauber
paar einsame Bluttropfen hatten sich aus den Wunden gezwängt.
Ich war unsicher, wie ich sie auf meinen Anblick vorbereiten sollte. Ich erwog erst, sie anzusprechen, dann schien es mir besser, gleich neben sie zu treten, damit sie sehen konnte, wer zu ihr sprach. Doch bei beidem bestand die Gefahr, daß sie um Hilfe schreien würde. Blieb also nur eine Möglichkeit, dies zu verhindern. Ich trat von hinten an sie heran, legte ihr blitzschnell eine Hand auf den Mund und zog sie zurück. Sie begann heftig um sich zu treten, doch ich hielt sie fest im Griff. Als ihre nackte Haut meinen Körper berührte, ging ein Beben durch meine Glieder. Nur Althea war ich bislang so nahe gekommen.
»Ruhig«, zischte ich ihr ins Ohr, »seid ganz ruhig. Ich will Euch nichts Böses. Habt keine Angst.«
Sie trat nur noch heftiger um sich, aber dann schien sie sich zu besinnen. Sie verharrte, nur ihr Keuchen verriet, wie aufgeregt sie war.
»Versprecht mir, nicht zu schreien, dann lasse ich Euch los.«
Nun weiß ein jeder, wie viele tapfere Männer durch zu großes Vertrauen in ihre Gefangenen bereits ihr Schicksal ereilte, und wäre das Mädchen nicht eine Tochter Gottes und zum Schweigen vereidigt gewesen, so wäre es mir vielleicht genauso ergangen. Sie aber nickte, und als ich sie freiließ, blieb sie tatsächlich still. Sie wich lediglich vor mir bis zur Wand zurück und bedeckte verzweifelt mit den Armen ihre Blößen.
Ich versicherte ihr, daß es mir keineswegs um ihre körperlichen Reize ginge. Auch sei mir nicht an ihrer Gott versprochenen Jungfräulichkeit gelegen. Vielmehr wolle ich sie, so es ihr recht sei, aus ihrer mißlichen Lage befreien. Als Zeichen meiner guten Absichten reichte ich ihr Dantes Mantel, damit sie sich damit vor meinen Blicken verhüllte.
»Schlägt sie Euch oft?« fragte ich, denn sie tat mir leid, und mir war nicht entgangen, daß unter den frischen Wunden auf ihrem Rücken die Narben älterer, abgeheilter Verletzungen schimmerten.
Die Betschwester sah mich aus großen Augen an, unsicher und verstört ob meiner Anwesenheit. Einen Moment lang liebäugelte sie mit der geschlossenen Tür und schmiedete wohl Fluchtpläne, doch als ich ihr mit einem ruhigen Schritt den Weg vertrat, gab sie auf. Dann erst fiel mir ein, daß sie womöglich mit der Rückkehr Waldradas rechnete. Ihre Strafe angesichts meiner Gegenwart würde schlimmer ausfallen als jede zuvor.
Sie nickte stumm, um meine Frage zu beantworten.
Ich seufzte. »Ihr habt Euer Gelübde bereits gebrochen. Glaubt Ihr nicht, Ihr könntet nun zu mir sprechen? Beichtet es später, wenn Ihr mögt.« Der Vorschlag war eigennützig. Sie würde ihren Fehltritt niemals beichten können, denn zweifellos war es Waldrada, die ihren Schäfchen die Absolution erteilte. Und ganz gleich, ob Gott ihr verzieh – die Äbtissin würde es nicht tun.
Wie kaum anders zu erwarten, schüttelte die Betschwester heftig den Kopf und preßte ihre Lippen aufeinander. Sie war leidlich hübsch, wenngleich auch ihr Gesicht ein wenig Fülle hätte vertragen können. Der Schmerz mußte immer noch unvermindert in ihrem Körper toben, denn in ihren Augen blitzten Tränen.
»Nun gut«, sagte ich und gab mich geschlagen, »dann schweigt. Ich kann mir kaum vorstellen, daß es Euch hier im Kloster gefällt. Ich werde Euch aus dieser Kammer befreien und laufenlassen. Geht fort, ehe Waldrada es bemerkt. Niemand hat es verdient, so gequält zu werden. Zuvor aber erweist mir einen Dienst.«
Ihre großen Augen weiteten sich noch mehr, einen Moment lang sah es aus, als würden neue Tränen über ihre Wangen rinnen.
»Nein«, beschwichtigte ich sie eilig. »Ich will nur eine Auskunft, nichts sonst. Wo finde ich die Kammer von Schwester Julia?«
Sie schloß erleichtert die Augen, dann nickte sie. Offenbar war sie bereit, mir den Weg zu zeigen.
»Gut«, sagte ich erfreut, »dann laßt uns gehen.«
Wir verließen die Kammer mit aller Behutsamkeit, schlichen leise den Gang hinunter und bogen an seinem Ende nach rechts. Entlang eines weiteren Flurs führte unser Weg an einem Dutzend Türen vorbei, bis die junge Klarissin plötzlich stehen blieb und auf die nächstliegende Kammer deutete.
»Hier ist es?« fragte ich leise.
Sie nickte und blickte dabei zugleich über meine Schulter den Weg zurück, den wir gekommen waren. Ihre Furcht vor Entdeckung ließ sie am ganzen Körper erzittern.
Die Aufregung, endlich am Ziel zu sein, schwächte meine Aufmerksamkeit, denn im gleichen Moment huschte
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