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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Lücke im Gebüsch zog. Das Licht ihrer Fackeln drang durchs Geäst, sie selbst aber waren nicht zu sehen. Ich hörte rauhes Lachen, dann das Rascheln abgestreifter Kleidung. Schließlich vernahm ich gedämpftes Röcheln und Stöhnen. Keinesfalls schmerzerfüllt, o nein, eher – Gott im Himmel! – lüstern und voller Leidenschaft. Ich vermochte mir kaum auszumalen, was die beiden Männer dort im Dickicht trieben. Abscheu ließ mich am ganzen Körper erbeben, Ekel vor ihrer Tat und, schlimmer noch, dem Umstand, daß sie ihr unzüchtiges Treiben auf geheiligtem Boden vollführten.
    Nichtsdestotrotz nutzte ich den Moment ihrer Sünde, um ungesehen mein Versteck zu verlassen und auf demselben Weg, über den die beiden Knechte gekommen waren, auf die andere Seite des Hauses zu laufen. Ich fragte mich, was die Äbtissin tun würde, wenn sie von der Blasphemie ihrer Diener erführe, verdrängte den Gedanken daran jedoch sogleich, als ich eine offene Seitentür fand. Durch sie mußten die Männer das Kloster verlassen haben. Mich wunderte, daß sie überhaupt Zugang zu den Hallen der Schwestern hatten. Um so schlimmer wog ihr Vertrauensbruch.
    Ich betrat einen steinernen Flur, fensterlos und finster, an dessen Ende eine einsame Fackel in einer Wandhalterung brannte. Ihr Schein hatte den Kampf gegen die Dunkelheit längst verloren, das Licht, das sie verbreitete, reichte kaum weiter als drei, vier Schritte. Ich horchte, bemerkte aber keinerlei Anzeichen von Leben. Ich wußte nicht, wo ich mit der Suche nach Julia beginnen sollte. Es lag nahe, daß sich die Kammern der Schwestern im oberen Stockwerk befanden, allerdings kamen mir Zweifel, ob ich mich im richtigen Flügel befand. Falls die beiden Knechte wirklich durch diese Tür ins Freie getreten waren, mußten in diesem Teil des Hauses die Quartiere der Dienstboten liegen. Es gehörte nicht viel dazu, sich auszumalen, daß sie vom Trakt der Nonnen streng getrennt lebten, deshalb fürchtete ich, schon nach wenigen Schritten erneut vor einer verschlossenen Tür zu stehen. Und dem war in der Tat so, denn als ich mich von der Fackel abwandte und in entgegengesetzte Richtung schritt, wäre ich in der Dunkelheit beinahe mit Gepolter gegen einen verriegelten Durchgang gelaufen. Um Haaresbreite entging ich dem Zusammenstoß. Ich sah kaum die Hand vor Augen. Hinter der Tür mußten die Unterkünfte der Schwestern liegen.
    Ich tastete nach beiden Seiten und bemerkte zu meiner Rechten eine Öffnung, aus der mir kühle Luft entgegenschlug. Ich blieb stehen und wartete eine Weile, bis sich meine Augen vollständig an das Dunkel gewöhnten. Dann erkannte ich, daß dort hinter einem Steinbogen eine Treppe hinunter in die Tiefe führte. Also doch der Keller. Von seinem Grund schien mir ein zartes Flackern entgegenzuschimmern. Hoffnung auf eine weitere Fackel beschleunigte meine Schritte, als ich die Stufen nach kurzem Zögern hinabstieg.
    Ein merkwürdiges Gefühl ergriff mich, eine Unruhe, die mich auf einen Schlag von Kopf bis Fuß erfüllte. Es war Furcht, gewiß, aber da war noch mehr, als verschöbe sich erneut die Grenze der Wirklichkeit und gewähre etwas von der anderen Seite Einlaß in ihr Reich. Es war der Eindruck, daß sich etwas näherte, ohne daß ich es sehen oder gar erkennen konnte. Ich fuhr herum, doch hinter mir war nichts. Treppe und Flur waren verlassen. Sollte da eine Gefahr sein, die mir drohte, so mußte sie vor mir lauern, tiefer unten im Gewölbe.
    Am Ende eines Gangs brannte eine Fackel. Auf sie ging ich zu, näherte mich Schritt um Schritt, ohne jemandem zu begegnen. Es gab keine Abzweigungen und Türen, nur feuchtes Gestein. Ich nahm die Fackel aus der Halterung, folgte dem Gang um eine Ecke und sah, daß er sich schließlich zu einem Raum ausweitete. Je näher ich der Kammer kam, desto mehr Licht kroch hinein, bis es schließlich die unteren Stufen einer weiteren Treppe aus der Schwärze meißelte. Sie führte nach oben. Ich atmete auf.
    Trotzdem wollte das merkwürdige Gefühl nicht weichen. Gänsehaut überzog meinen Körper wie Rauhreif. Ich fror plötzlich, als streife der unterirdische Luftzug meinen Körper mit treibenden Eiskristallen. Die Flammen zuckten wie ein lebendiges Wesen, als versuchten sie, dem seltsamen Wechsel der Stimmung entgegenzuwirken. Ihr Licht geisterte über die Wände und durch mehrere Nischen im Gestein.
    In einer davon stand eine Gestalt. Unfähig, mich zu rühren, starrte ich in ein fahles, zahnloses Frauengesicht, alt und

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