Der Rattenzauber
Körper waren vollkommen nackt. Über ihre weißen Rücken zog sich ein Netzwerk blutiger Striemen. Waldrada stand, als einzige von schwarzen Gewändern verhüllt, hinter den dreien. In der Rechten hielt sie eine Geißel mit zahlreichen Lederriemen. Wortlos hob sie das schreckliche Instrument ein ums andere Mal und zog es mit brutaler Gewalt über die schutzlosen Rücken der Frauen. Entsetzt wollte ich mich abwenden, doch irgend etwas fesselte meinen Blick an das furchtbare Geschehen. Ich zweifelte nicht daran, daß die drei Schwestern gesündigt hatten und nun ihre gerechte Strafe empfingen – Geißelung war keine unübliche Weise, die Vergebung des Herrn zu erflehen –, und doch zog mich der Anblick der geschundenen Frauen ebenso an, wie er mich zugleich auch abstieß. Immer wieder ließ die Äbtissin die Riemen auf das Fleisch der Sünderinnen sausen, und während zwei von ihnen die Strafe in Ruhe und Demut empfingen, vergoß die dritte bittere Tränen. Dafür erhielt sie sogleich weitere Schläge.
Plötzlich ließ die Äbtissin die Geißel sinken und wandte sich zur Tür. Einen Augenblick lang glaubte ich, sie hätte mich entdeckt. Doch obgleich ihr Blick in meine Richtung wies, war es, als schaute sie durch mich hindurch. Ich stand weit genug im Dunklen, um für sie unsichtbar zu sein. Trotzdem machte sie erst einen, dann einen zweiten Schritt auf mich zu. Ihre Augen schienen die Schatten zu durchdringen, Schicht um Schicht abzustreifen wie die Schalen einer Zwiebel, bis sie mich zum Schluß doch noch erblicken würde. Ganz langsam, um sie nicht durch eine schnelle Bewegung aufzuschrecken, zog ich mein Gesicht von dem Spalt zurück und suchte nach einem Versteck. Es blieb keine Zeit, lange zu zögern. Auf leisen Sohlen huschte ich zur nächstbesten Tür, drückte sie sachte auf und schob mich ins Innere der Kammer. Drinnen war es stockfinster. Ohne mich umzuschauen, preßte ich die Tür wieder zu – gerade noch rechtzeitig, denn nur einen Herzschlag später hörte ich Waldradas Schritte auf dem Gang. Ich erstarrte, wagte kaum Luft zu holen. Irgendwo aus der Dunkelheit der Kammer erklangen leise, regelmäßige Atemzüge. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte mich die Vorstellung verwirrt, bei Nacht allein mit einer schlafenden Betschwester zu sein. Jetzt aber war meine größte Sorge die grausame Äbtissin, deren Schritte in diesem Augenblick vor der Tür verhielten. Ich blieb totenstill. Die Äbtissin schien zu spüren, daß jemand in der Nähe war. Der Gedanke ließ mich erzittern. Waldrada horchte nicht – sie nahm Witterung auf.
Eine Ewigkeit schien sie dazustehen, schweigend und starr. Das einzige Geräusch war das Wimmern der weinenden Nonne.
Schließlich hörte ich, wie Waldrada auf dem Absatz kehrtmachte und zurück in das erleuchtete Zimmer ging. Sie zischte einige Befehle, dann stolperten zwei der drei gegeißelten Schwestern davon. Nur die dritte, jene, die weinte, blieb zurück. Die Äbtissin befahl ihr, die Nacht über in unveränderter Stellung auszuharren, die Hände gegen die Wand gepreßt, mit unversorgten Wunden, als Strafe für den Bruch ihres Schweigegelübdes. Zuletzt wurde die Tür zugezogen und verriegelt. Waldrada eilte mit festem Schritt den Gang hinunter, das Rauschen ihrer Gewänder verklang in der Ferne.
Einen Moment lang erwog ich, die schlafende Schwester, in deren Zimmer ich mich befand, in näheren Augenschein zu nehmen. Doch, nein – der Zufall, ausgerechnet in Julias Kammer Zuflucht gefunden zu haben, war undenkbar. So blieb ich noch eine Weile stehen, dann schob ich mich lautlos hinaus auf den Gang. Er war leer. Keine Spur von Waldrada oder einer der Schwestern.
Ich schloß die Tür hinter mir, überlegte einen Augenblick, dann wandte ich mich zu dem erleuchteten Raum. Vielleicht gab es hier eine Möglichkeit, Julias Aufenthaltsort zu erfahren.
Ich öffnete vorsichtig, damit niemand mich sah oder hörte, die Tür der Zelle und schlüpfte eilig hinein. Die Schwester, ein junges Ding in Marias Alter, lehnte noch immer nackt an der Wand, mit dem Rücken zur Tür. Sie wagte nicht, sich umzudrehen, wohl in der Gewißheit, Waldrada sei zurückgekehrt, um ihre Bestrafung fortzusetzen. Sie hatte aufgehört zu weinen, doch ihr Körper bebte noch immer vor Schmerzen. Man hatte ihr Haar auf Fingerbreite kurzgeschoren, ihr Leib war mager, fast knochig. Die Spuren der Geißel hoben sich leuchtend rot von ihrem weißen Rücken ab. An einigen Stellen war die Haut aufgerissen, und ein
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