Der Rauchsalon
wenig künstlerisch tätig, und man macht
sich ja immer Gedanken, wie man nebenbei noch ein wenig verdienen kann.«
»Da haben Sie völlig recht«, erwiderte
die Eigentümerin voll Anteilnahme. »Aber ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen
über die kommerziellen Möglichkeiten sagen soll. Es hängt ganz davon ab, wie
gut Sie sind und wie gut Sie sich verkaufen können, nehme ich an. Ich selbst
restauriere auch, die meisten meiner Kunden sind Antiquitätenhändler und
Hobbykünstler.«
Sie kamen miteinander ins Gespräch, und
Sarah war so froh, endlich jemanden gefunden zu haben, mit dem sie sich über
Kunst unterhalten konnte, daß sie mehr Zeit dort verbrachte, als sie eigentlich
eingeplant hatte. Außerdem gab sie einen Teil ihres Einkaufsgeldes für
Porzellanfarben und Material aus. Sie hatte sich bereits seit langem gefragt,
was sie möglicherweise Tante Emma, Anora Protheroe und einigen anderen, die
während der schweren Zeit nach Alexanders Tod besonders nett zu ihr gewesen
waren, als kleines Dankeschön geben könnte. Teller und Tassen, die sie selbst
bemalt hatte, waren sowohl erschwinglich als auch ein sehr persönliches
Geschenk und würden ihr außerdem die Gelegenheit verschaffen, eine neue
Kunstfertigkeit zu erlernen, die sie vielleicht einmal nutzen konnte und mit
der sich möglicherweise etwas nebenher verdienen ließ.
Jetzt hatte sie wenigstens etwas
erreicht, wenn auch nicht das, weswegen sie gekommen war. Mrs. Sorpende ließ
sich auch nicht das Gebiß sanieren. Die Tür zum Dentallabor stand offen, und
Sarah konnte fünf oder sechs eifrige Männer sehen, die sich über die
Gipsabdrücke der Gebisse anderer Leute beugten, aber eine kräftige Dame
mittleren Alters mit schwarzem Haar und roten Turnschuhen war nirgends zu
erblicken.
Es konnte also nur die Teestube sein,
wie sie von Anfang an vermutet hatte. Es stellte sich heraus, daß ihre
Verspätung durch die Plauderei mit ihrer neuen Freundin im Porzellanladen ein
glücklicher Zufall gewesen war, denn die Teestube machte gerade erst auf. Eine
Dame mittleren Alters, die ein voluminöses Zigeunerkostüm trug und mit einem
nasalen Maine-Akzent sprach, kam auf sie zu und ließ zur Begrüßung freudig
sämtliche Armbänder und Perlenketten klirren.
»Sie sind heute unsere erste Kundin!
Sie sind jemand, der Glück im Leben hat, meine Liebe! Das sehe ich auf den
ersten Blick.«
Dann tat sie besser daran, einen
zweiten Blick zu investieren, dachte Sarah, setzte sich auf den wackeligen
Stuhl, den die Dame ihr hinstellte, und legte das zerbrechliche Päckchen mit
unbemaltem Porzellan auf den nächstbesten Stuhl.
Die Geschäftsinhaberin brachte ihr eine
fotokopierte Speisekarte, auf der eine ziemlich bescheidene Auswahl an
Sandwiches und ein Peach-Delight-Salat angeboten wurde, der, wie Sarah aus den
Erzählungen von Tante Mabel wußte, höchstwahrscheinlich aus einem Klacks
Hüttenkäse und einem halben Dosenpfirsich bestand. In ein solches Etablissement
kam man eben nicht wegen des Essens. Sie bestellte ein Käsesandwich, das sie
eigentlich gar nicht wollte. Und natürlich eine Tasse Tee, das verstand sich
von selbst. Die Inhaberin teilte ihr munter mit: »Da Sie heute unser erster
Gast sind, stehen Ihnen alle unsere Damen zur Verfügung. Sie können sich also
selbst jemanden auswählen.«
Viel Auswahl gab es allerdings nicht.
Außer der Geschäftsinhaberin waren da nur noch zwei andere Damen, die genauso
angezogen waren wie ihre Chefin, also weite Blusen, weite Röcke und eine Menge
Modeschmuck trugen, und an dem Tisch in der Ecke neben der Küche saßen. Die
Frau, die Sarah ansah, war sehr klein und hatte ein verhutzeltes Gesicht. Die
andere, die ihr Gesicht abgewandt hatte, war groß und stattlich, mit sehr
gepflegten Händen und einem langen geflochtenen Zopf, der aus ihrem geblümten
Kopftuch heraushing. Sarah klopfte das Herz bis zum Hals, als sie sagte: »Die
schwarzhaarige Dame, bitte.«
Welche Eigenschaften sie auch sonst
noch haben mochte, Mrs. Sorpende bewies eindeutig Corpsgeist. Sie servierte das
karge Mahl wie eine Hohepriesterin, setzte sich auf den Stuhl gegenüber von
Sarah und wartete gelassen und nachdenklich, bis Sarah das Sandwich gegessen
und den Tee getrunken hatte. Dann nahm sie die Tasse, goß den Rest in die
Untertasse, stocherte wie bei dieser Prozedur üblich in den nassen Teeblättern
herum und sagte mit einem kläglichen Lächeln: »Ich sehe, daß Sie sich sehr bald
von einem Ihrer Mieter trennen werden.«
»Dann
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