Der Rauchsalon
meistens war ich auch nicht
sehr sauber, weil wir kein heißes Wasser und keine Seife hatten. Aber ich habe
überlebt und wahrsagen gelernt. Das konnte ich ziemlich gut, vielleicht weil
meine Phantasie durch das Lesen angeregt wurde, aber ich war ein hoffnungsloser
Fall, wenn es um die kleinen Tricks ging, die dazugehören. Daher habe ich auch
nie viel damit verdient, was mich in der Familie natürlich nicht gerade
beliebter gemacht hat.
Um es kurz zu machen: Ich war etwa
zwölf oder dreizehn, als meine Mutter das Leben einfach nicht mehr ertrug und
starb. Ich habe ein Kleid von einer Wäscheleine gestohlen und statt dessen
meine Zigeunersachen dort aufgehängt, um mir einzureden, daß ich nicht wirklich
gestohlen hatte, dann habe ich ein falsches Alter angegeben und bekam eine
Stelle als Tellerwäscherin. Viel verdient habe ich zwar nicht, aber das Essen
war in Ordnung, und es hat mir nichts ausgemacht, auf dem Boden hinter der
Theke zu schlafen, weil ich nie ein richtiges Bett gekannt hatte.
Dann wurde der Barkeeper zudringlich.
Ich habe ihm einen Teller über den Kopf geschlagen und bin wieder weggelaufen,
habe noch ein bißchen mehr gelogen und mich zur Kellnerin in einem miesen
kleinen Restaurant befördern lassen. Jetzt war ich auf dem Weg nach oben. Am
Ende des Jahres besaß ich ein gutes Paar Schuhe, ein anständiges Kleid und
sogar einen warmen Wintermantel. Ich hatte gelernt, in einem richtigen Bett zu
schlafen und mit Messer und Gabel zu essen. Ich wußte sogar, wozu eine
Serviette gut ist. Ich habe die öffentlichen Bibliotheken entdeckt, wo ich alle
Bücher bekommen konnte, die ich wollte, ohne dafür auch nur einen Cent bezahlen
zu müssen, und ich wußte genau, was mein größter Wunsch war. Ich wollte eine
richtige Dame werden.«
Sie lachte über sich selbst. »Ich bin
sicher, daß es für Sie absurd klingen muß, aber für mich bedeutete das alles.
Eines Tages würde ich in einem vornehmen Haus wohnen und mich von einem
Zimmermädchen und einem Butler bedienen lassen. Ich würde lange Abendkleider
tragen und mir Juwelen ins Haar stecken, wenn ich zum Abendessen nach unten
käme. Mit diesem Traum habe ich mich am Leben erhalten, während ich
aufgewärmtes Essen herumtrug, grapschenden Händen auswich und Trinkgelder aus
Aschenbechern und Saucen fischte. Eines Tages würde ich auch jemand sein.
Nun ja, ich will Sie nicht mit meiner
gesamten Lebensgeschichte langweilen. Ich habe Sprechunterricht genommen und
feines Benehmen gelernt, nachdem ich herausgefunden hatte, was diese Begriffe beinhalten,
und zwar bei einem armen Trunkenbold, der früher kleine Nebenrollen mit Gloria
Swanson und Theda Bara gespielt hatte. Näher bin ich wahrer Größe nie gekommen.
Zu mir haben sich immer die falschen Männer hingezogen gefühlt, ich habe
geheiratet, aber die Ehe war nicht glücklich und dauerte viel zu lange. Jetzt
deute ich wieder Leuten die Zukunft und räume schmutziges Geschirr ab. Aber ich
lebe in einem wunderschönen Haus, in dem es ein Dienstmädchen und einen Butler
gibt, die mich bedienen, und ich komme zum Abendessen in einem langen
Abendkleid herunter, mit Juwelen im Haar. Ihr Pech hat es mir ermöglicht,
meinen Lebenstraum zu verwirklichen. Wenn Sie das irgendwie trösten kann, würde
ich mich sehr freuen.«
»Das tut es, und vielen Dank für Ihre
Offenheit. Aber würden Sie mir bitte sagen, warum Sie, wenn es doch Ihr
Lebenstraum ist, eine vornehme Dame mit Schmuck im Haar zu sein, in der Tremont
Street in schmutzigen Turnschuhen und einem schlampigen Kopftuch herumlaufen?
Das gehört doch sicher nicht zu Ihrem Traum?«
Mrs. Sorpende wurde rot. »Nein, das war
nur ein Versuch, mich zu schützen. Da die Entfernung zwischen Ihrem Haus und
der Teestube so gering ist, habe ich befürchtet, daß man mich erkennen könnte.
Ich weiß, daß es eine schrecklich primitive Verkleidung ist, aber sie ist
einfach zu bewerkstelligen und hat mich nichts gekostet. Meine Mittel sind sehr
beschränkt, wie Sie inzwischen selbst wissen. Ich hatte gehofft, daß es mir
gelingen würde, weiterhin meine beiden Rollen spielen zu können, so daß ich
noch ein paar Wochen hier leben könnte. Sicherlich finden Sie dieses ganze Theater
absurd, aber Illusionen sind seit langer Zeit Teil meines Lebens. Ich kann Sie
nur bitten, das zu verstehen.«
»Ich verstehe Sie durchaus, aber wollen
Sie nicht einmal versuchen, zur Abwechslung ein wenig in der Realität zu leben?
Ich schlage vor, Sie werfen diese grauenhaften Turnschuhe
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